Krafttraining im Kindes- und Jugendalter
Im Allgemeinen versteht man unter Krafttraining im Kindes- und Jugendalter „die Verwendung von freien Hanteln und Maschinen, ebenso wie die Verwendung des eigenen Körpergewichts oder von Gummibändern zur Erzeugung eines zu überwindenden Widerstands“ (American Academy of Pediatrics, 2001). Nach Menzi, Zahner und Kriemler (2007) nutzt das Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen dabei alle erdenklichen Formen eines Widerstandstrainings, abhängig von der Zielstellung (Leistungssport vs. Gesundheitssport) und der Adressatengruppe (Schüler vs. Nachwuchsleistungssportler). Je nach Zielstellung ist es wichtig, dass ein differenziertes und spezifisches Krafttraining zur Anwendung kommt. Krafttraining dient außerdem als Sammelbegriff für eine übergeordnete Trainingsart, die auf eine Verbesserung der Kraftfähigkeiten zielt. Das Krafttraining mit freien Hanteln und an Maschinen kann individuell dosiert und durch verschiedene Gewichtsabstufungen eingestellt werden. Diese Art des Krafttrainings kann somit weit weniger belastend wirken als Übungen mit dem eigenen Körpergewicht (Ebada & Krüger, 2004). Oftmals stellen Trainingsübungen mit dem eigenen Körpergewicht eine nicht zu überwindende Herausforderung dar (Liegestütze, Handstand, Klimmzug etc.). Das Problem bzw. die Schwachstelle liegt nicht vorrangig in der Muskulatur, sondern eher in der Rumpfstabilisation durch eine entsprechende Körperspannung (Fröhlich et al., 2009). Das Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen orientiert sich an der altersspezifischen und physiologischen Leistungsfähigkeit der Heranwachsenden. Im Vordergrund stehen die Trainierbarkeit der Kraft sowie die Vermeidung der Schädigung des passiven Bewegungsapparates. Zum Einsatz kommen Kräftigungsübungen, die je nach Alter mit dem eigenen Körpergewicht oder mit Zusatzgewichten durchgeführt werden. Kontinuierlich können die Anzahl der Wiederholungen bzw. die Höhe des Widerstandes erhöht werden, um den Krafttrainingseffekt zu steigern. Das Ziel liegt dabei in der Erhöhung der Kraftausdauer bzw. der Maximalkraft. Nach Menzi et al., 2007 liegt der Trainingsschwerpunkt bei Kindern und Jugendlichen viel mehr auf der Erhöhung des Umfangs (Reizdauer) als auf der Steigerung des Widerstands (Reizhöhe). Mit zunehmendem Alter werden die Trainingsübungen gezielter und die Trainingsformen der Erwachsenen können übernommen werden, wo die Kraftsteigerung vor allem über die Erhöhung des Widerstands erreicht wird (Menzi, Zahner & Kriemler, 2007). Aus den Ergebnissen der KINGS-Studie lassen sich zwei grundlegende Zielstellungen des Krafttrainings im Nachwuchsleistungssport ableiten: Erstens die Leistungssteigerung durch ein Maximalkrafttraining und zweitens die Prävention von Verletzungen des Muskel-Sehnen-Apparats durch ein spezifisches Sehnentraining (Gabriel, Puta, Arampatzis & Granacher, 2016).
Die grundlegenden Erscheinungsformen der Kraft sind die Maximalkraft, die Schnellkraft, die Kraftausdauer und die Reaktivkraft. In der trainingswissenschaftlichen Literatur finden sich häufig die Begriffe wie Wurf-, Sprint- und Sprungkraft. Dabei handelt es sich jedoch nicht um unabhängige Erscheinungsformen der Kraft, sondern um eine Klassifizierung von Bewegungsfertigkeiten, bei denen die Entwicklung der Kraft eine entscheidende Rolle spielt. Die von Nett (1967) vorgenommene Unterteilung der Kraft in die Subkategorien Maximalkraft, Schnellkraft und Kraftausdauer haben sich prinzipiell bewährt. Durch diese Einteilung lassen sich klare Ziele für den Trainingsprozess ableiten. Die Abhängigkeit zwischen den Erscheinungsformen wird jedoch in dieser Einteilung nicht berücksichtigt. Die Maximalkraft bildet dabei die Basisfähigkeit und hat einen direkten Einfluss auf die Schnellkraft und Kraftausdauer. Das bedeutet, dass der Ausprägungsgrad von Schnellkraft und Kraftausdauer u. a. von der Maximalkraft abhängt (Wirth et al., 2013). Zur inhaltlichen Unterscheidung der Kraftfähigkeiten sei auf Bührle (1985; 1989), Güllich und Schmidtbleicher (1999) sowie Schmidtbleicher (1980; 1987; 2003) verwiesen. Die Dauer und Größe der Adaptationen durch Krafttrainingsbelastungen hängen dabei vom Belastungswiderstand, -umfang und -intensität ab. Weiterhin beeinflussen die Serienpause, die Übungsauswahl und -technik, der aktuelle Trainingszustand und die Trainingsmethode die Anpassungen infolge eines Krafttrainings (Fröhlich et al., 2009).
Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen aus historischer Perspektive
Sportwissenschaftler und Sportpraktiker beschäftigen sich seit mehr als 50 Jahren mit der Frage, ob und wie ein Krafttraining im Kindes- und Jugendalter sinnvoll eingesetzt werden kann. Laut Weltgesundheitsorganisation gilt Krafttraining heute als eine essenzielle Maßnahme zur körperlichen Aktivität für Kinder und Jugendliche. In der Vergangenheit wurden Kräftigungsübungen bei Heranwachsenden von vielen Experten als nicht empfehlenswert erachtet (American Academy of Pediatrics, 1983). Begründet wurde dies lange Zeit durch den mangelnden Hormonstatus, wie dem Testosteron, vor Vollendung der Geschlechtsreife. Eine weitere Begründung lag in der unzureichenden Entwicklung des Stütz- und Bewegungsapparates von Kindern sowie der reduzierten Belastbarkeit im Jugendalter. Dem Krafttraining wurde einerseits ein negativer Einfluss auf das Längenwachstum und anderseits eine erhöhte Verletzungsanfälligkeit der Epiphysenfugen, der Knochen und des Bindegewebes zugeschrieben (Mellerowicz et al., 2000). In der Frühphase erster empirischer Studien zum Thema Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen zeigten sich keine signifikanten Effekte bezüglich der Steigerung der Kraft und der Leistungsfähigkeit (Kirsten, 1963; Vrijens, 1978). Aus diesen Erkenntnissen wurde 1983 ein Positionspapier von der American Academy of Pediatrics herausgegeben, welches Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen als wenig zielführend und unangebracht ansah. Betont wurde die erhöhte Verletzungsgefahr und die ungesicherte Wirkungsweise eines Krafttrainings bei Heranwachsenden (Gießing & Fröhlich, 2008). Ab 1990 änderten sich die Krafttrainingsempfehlungen aufgrund der Zunahme an empirischer Evidenz (Malina, 2006). Die revidierten Positionspapiere u. a. der American Academy of Pediatrics sowie des American College of Sports Medicine empfehlen seitdem ein altersabhängiges Krafttraining im Sinne der Verletzungsprophylaxe, der Leistungssteigerung, der allgemeinen Fitness sowie des psychischen Wohlbefindens (American Academy of Pediatrics, 2001; Malina, 2006).
Nach aktuellen Erkenntnissen dienen „Kräftigungsübungen als essenzielle Maßnahme zur Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen“ (Behm et al., 2008; Rütten & Pfeifer, 2016). Die aktuellen Empfehlungen zu Krafttrainingsprogrammen mit Kindern und Jugendlichen basieren auf vermehrten Forschungstätigkeiten (Behringer et al., 2010; 2011; Faigenbaum & Myer, 2010). In allen Etappen des langfristigen Leistungsaufbaus hat die Entwicklung der Muskelkraft eine große Bedeutung (Lloyd & Oliver, 2012; Faigenbaum et al., 2016). Mittlerweile belegen eine Vielzahl an internationalen Studien die positiven Effekte eines altersgerechten und professionell angeleiteten Krafttrainings. Positive Auswirkungen sind u. a. die Steigerung der verschiedenen Komponenten der Muskelkraft (Maximalkraft, Schnellkraft, Kraftausdauer), die Verbesserung von sportartspezifischen Fertigkeiten (Laufen und Springen) sowie positive Effekte bezüglich der Knochendichte, der Körperzusammensetzung, der kardiovaskulären und der psychosozialen Faktoren (Faigenbaum, 2000; Mühlbauer et al., 2013). Ein betreutes und altersgerecht durchgeführtes Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen kann somit als ungefährlich eingestuft werden und es sind keine negativen Effekte auf die biologischen Reifungsprozesse zu erwarten (Behringer et al., 2010; Faigenbaum & Myer, 2010). Die Relevanz des Krafttrainings ist inzwischen auch im Nachwuchsleistungssport unbestritten. Ziel im Nachwuchsleistungssport ist die systematische Vorbereitung auf internationale sportliche Erfolge im Hochleistungsalter, um „die Spitzenposition Deutschlands im internationalen Vergleich zu erhalten und den Stellenwert des Leistungssports in der Gesellschaft zu erhöhen“ (Deutscher Sportbund, 2016). Für die jungen Sportlerinnen und Sportler soll mithilfe des Krafttrainings die Grundlage für die spätere Gesunderhaltung und Leistungsfähigkeit geschaffen werden. Im Jahr 2013 hat der „Strategieausschuss des Wissenschaftlichen Verbundsystems im Leistungssport“ ein Ausschreibungsverfahren zum Thema Krafttraining im Nachwuchsleistungssport eröffnet. Ziel der Studie war es, wesentliche Forschungsgrundlagen bezüglich alters-, geschlechts- und sportartspezifischer Belastungsnormative zu erarbeiten. Mithilfe eines wissenschaftlichen Projektteams in Kooperation mit leistungssportrelevanten außeruniversitären Projektpartnern wurde das Forschungsdefizit aufgearbeitet und die Übertragung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis vorantrieben. Praxisorientierte und wissenschaftliche Untersuchungen mit Kindern und jugendlichen Nachwuchsathleten bildeten hierfür die Basis. Die Projektleitung für die Krafttrainingsstudie im Nachwuchsleistungssport (KINGS-Studie) lag bei Professor Granacher (Granacher, 2015).
Biologische Grundlagen der Muskelkraft
Das Wachstum sowie die Reife beeinflussen die Entwicklung der Muskelkraft bei Kindern und Jugendlichen. Ein zusätzliches Krafttraining kann dabei die Muskelkraftentwicklung positiv beeinflussen. Basierend auf dem biologischen Reifestatus erfolgt die Beurteilung der Kraftfähigkeiten und deren Trainierbarkeit. Das biologische Alter kann anhand vom Skelettalter, Zahnalter oder durch sexuelle Geschlechtsmerkmale bestimmt werden. Bei Kindern ist das Wachstum ein „diskontinuierlicher und fortschreitender Prozess“. Die höchste Wachstumsgeschwindigkeit erreichen Mädchen mit ca. 12 und Jungen ca. mit 14 Jahren. Durch das endokrine System wird die entwicklungsbedingte Veränderung der Muskelmasse sowie die morphologisch-zellularen Anpassungen an sportliche Belastungen initiiert und gesteuert. Bereits vor der Pubertät sind die Wachstumshormone, die Hormone der Nebennierenrinde, das Insulin, die Geschlechtshormone sowie das IGF-1 vorhanden. Mit Beginn der Pubertät steigt die Testosteronausschüttung bei Mädchen und Jungen. Dabei sind die durchschnittlich erreichten Werte der Mädchen um das 15-fache niedriger als bei den Jungen. Zwischen dem 5. und dem 10. Lebensjahr ist die fettfreie Körpermasse bei Jungen gegenüber Mädchen um 1-3 kg erhöht und nimmt beim Übergang in die Pubertät um etwa 10 kg zu. Ausgehend von etwa 25-29 Prozent Muskelmasse am Gesamtkörpervolumen in der vorpubertären Phase steigt diese in der Pubertät bei Jungen auf bis zu 35-42 Prozent und bei Mädchen auf bis zu 32-36 Prozent an (Siewers, 2008; Horn et al., 2012). In der Abbildung ist der Zusammenhang von Testosteronniveau und der Oberkörperkraft bei Mädchen und Jungen dargestellt (in Anlehnung an Goebel & Stephan, 2007, S. 2).
Physiologisch gesehen ist die Kraftsteigerung von der Muskelfaserzusammensetzung, vom physiologischen Muskelquerschnitt sowie von der inter- und intramuskulären Koordination abhängig (Menzi et al., 2007). Es werden „Slow-Twitch“ Fasern (Typ 1) und „Fast-Twitch“ Fasern (Typ 2) unterschieden. Nach der Geburt ändert sich die Muskelfaserzusammensetzung, welche genetisch bedingt ist, nicht mehr grundlegend (Staron et al., 2000). Aus Untersuchungen von Perusse et al. (1987) und Zhai et al. (2005) sind die Muskelgröße sowie die Muskelkraft zu 70 Prozent genetisch und zu 30 Prozent durch Umwelteinflüsse bestimmt. Bei Jungen führt hauptsächlich eine Vergrößerung der Typ 2 Muskelfasern zu einem Kraftzuwachs während der Pubertät (Glenmark et al., 1992). Die isokinetische Kraft ist sowohl von der Summe der Querschnitte der Muskelfasern als auch von der Muskelfaserlänge und von ihrem Ansatzwinkel abhängig. Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen ist der Muskelquerschnitt proportional zur isometrischen Kraft. Das bedeutet, dass die Kraft im Kindesalter mit zunehmendem Muskelvolumen steigt. In der präpubertären Etappe sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich der Kraftausprägung noch gering. Während dieser Zeit steigt der Kraftzuwachs proportional zum Längenwachstum. Mit Beginn der Pubertät verändern sich die Kraftverhältnisse insbesondere durch hormonelle Einflüsse und es treten vermehrt geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Bei den Mädchen erhöht sich die Muskelmasse vorwiegend in den unteren Extremitäten, aufgrund der Zunahme des Körpergewichts. Mit dem Einsetzen der Pubertät beginnt bei den Jungen ein starker Muskelzuwachs, welcher bis zu ca. drei Jahre nach dem pubertären Wachstumsschub bestehen bleibt. In dieser Wachstumsphase ist ein Krafttraining durch den Zustand der Knochen nicht uneingeschränkt möglich. Bei Heranwachsenden ist die Ossifikation der Knochen noch nicht abgeschlossen und aufgrund geringer Kalkeinlagerungen in den Knochen weisen diese eine höhere Biegsamkeit bei gleichzeitig verminderter Zug- und Druckfestigkeit auf. Besonders zu beachten sind die noch nicht verknöcherten Wachstumszonen der Knochen aufgrund ihrer erhöhten wachstumsbedingten Teilungsrate (Siewers, 2008). Die Epiphysenfuge ist für das Längenwachstum der Knochen verantwortlich und sorgt im Alter von ca. 20 Jahren durch Verknöcherung für einen Abschluss des Längenwachstums. Durch das Wachstumshormon STH (Somatotropes Hormon) sowie durch das Schilddrüsenhormon Thyroxin wird das Wachstum gesteuert. In der Pubertät kann es häufig zu einem schnellen Längenwachstum kommen. Um Instabilitäten und Dysbalancen zu vermeiden, müssen im Training Gleichgewichtsübungen durchgeführt werden (Horn et al., 2012). Neben der Muskelfaserzusammensetzung sowie dem physiologischen Muskelquerschnitt ist die Kraft bzw. die Kraftsteigerung von der intramuskulären (verbesserten Rekrutierung, Frequenzierung und Synchronisation) und intermuskulären (optimales Zusammenspiel von Agonisten und Antagonist) Koordination abhängig. Durch Krafttrainingsinterventionen können sowohl die inter- als auch die intramuskuläre Koordination verbessert werden (Menzi et al., 2007; Horn et al., 2012).
Ontogenese und motorische Entwicklung
Aktuelle Studien belegen, im Gegensatz zu älteren Publikationen, in denen die Trainierbarkeit der Kraft vor der Pubertät angezweifelt wurde, dass der Organismus über die gesamte Lebensspanne trainierbar ist (Schmidtbleicher, 1994; Conzelmann, 1997; Lloyd & Oliver, 2012; Faigenbaum et al., 2016). Zu Beginn dieses Abschnittes werden die einzelnen Entwicklungsabschnitte beschrieben und deren entwicklungsspezifische Besonderheiten herausgestellt.
Im „Handbuch Kinder und Jugendtraining“ von Martin et al. (1999) umfasst die Kindheit den Lebensabschnitt von der Geburt bis zum 14. Lebensjahr. Winter (1998) differenziert die Kindheit in die Phase des Vorschulalters (4 bis 7 Jahre) sowie in das frühe (7 bis 10 Jahre) und das späte Schulkindalter (Mädchen: 10 bis 12 Jahre; Jungen: 10 bis 13 Jahre). Die Pubertät wird in zwei weitere Reifungsphasen, die Pubeszenz (frühes Jugendalter) und Adoleszenz (spätes Jugendalter), unterteilt. Nach Mellerowicz et al. (2000) sind besonders in der Pubertät die geschlechtsspezifischen Unterschiede zu beachten. Spätestens ab dem Kindesalter verliert das kalendarische Alter an Erklärungswert und das biologische Alter gewinnt an Bedeutung (Wollny, 2002). Dabei kann das biologische Alter mehrere Jahre vom chronologischen Alter abweichen. Deshalb ist es wichtig, den Reifegrad (Früh-, Normal- und Spätentwickler) der Kinder zu erfassen. Besonders große Entwicklungsunterschiede zeigen sich zu Beginn des späten Schulkindalters bis zum Ende des späten Jugendalters (Winter, 1998; Wollny, 2007). Kinder und Jugendliche, welche sich im selben Lebensalter befinden, zeigen nicht zwangsläufig dieselben Merkmalsausprägungen. In den Entwicklungsverläufen müssen individuelle Unterschiede hinsichtlich des Eintrittszeitpunktes, des Ausgangsniveaus und der Lerngeschwindigkeit berücksichtigt werden (Wollny, 2002). Im folgenden Abschnitt werden die trainingspraktisch relevanten Grundlagen der biologischen Entwicklung näher beschrieben.
Die Phase des frühen Schulkindalters ist sowohl gekennzeichnet durch wachstumsbedingte Veränderungen der Körperformen und
-proportionen als auch durch somatische, psychische und kognitive Veränderungen (Scheid, 1994). Im frühen Schulkindalter (7 bis 10 Jahre) besitzen Kinder eine hohe motorische Lernfähigkeit (Mellerowicz et al., 2000) und ihr Bewegungsverhalten ist durch eine „ausgeprägte Lebendigkeit und Mobilität“ gekennzeichnet (Winter, 1998). Nach Scheid (1994) sind die Bewegungen im frühen Schulkindalter weniger flüssig und erscheinen vielmehr unrund und eckig. Die Kinder können durch ein regelmäßiges Training motorische Fähigkeiten erwerben und diese führen zu einer stetigen Zunahme der Kraft und Schnelligkeit (Schmidtbleicher, 1994; Weineck, 2010). Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind noch relativ gering, wobei Jungen geringfügig höhere Werte erzielen als Mädchen. Die Kraftfähigkeiten sind in den oberen Extremitäten in der Regel niedriger bzw. geringer als in den unteren Extremitäten, da diese im Alltag häufiger beansprucht werden (Schmidtbleicher, 1994). Bei Grundschulkindern steht die Festigung der motorischen Grundfertigkeiten im Mittelpunkt. Die koordinativen Fähigkeiten können durch Spiele und Turnübungen verbessert werden (Mellerowicz et al., 2000). Nach Winter (1998) beginnt mit etwa zehn Jahren die Phase des späten Schulkindalters bzw. die Phase der späten Kindheit. Der Übergang von früher zu später Kindheit ist dabei fließend (Martin et al., 1999). Im späten Schulkindalter ist die motorische Entwicklung durch die Verbesserung des Bewegungsflusses und durch die Beherrschung schwieriger Aufgaben gekennzeichnet. Dabei erfolgt die Ausprägung koordinativer Fähigkeiten vor der Ausprägung konditioneller Fähigkeiten. Durch das steigende Körperwachstum optimieren sich die Körperproportionen und ein verbessertes Last-Kraft-Verhältnis wird erkennbar (Winter, 1998; Weineck, 2010). Aus den Ergebnissen aktueller Studien bildet die Kindheit eine essenzielle Phase in der motorischen Entwicklung. Im Kindesalter liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung der neuromuskulären Koordination (neuromuskuläre Plastizität). Das Fundament für die späteren Entwicklungsetappen wird in der Kindheit geschaffen. Dabei umfasst das Training eine Vielzahl an Bewegungsfertigkeiten sowie Übungen zur Entwicklung der Kraft und Schnellkraft. Kinder, welche eine größere Bewegungsqualität aufweisen, erzielen höhere Kraftleistungen und haben ein reduziertes Verletzungsrisiko (Faigenbaum et al., 2016; Lloyd, 2018). Mit zunehmendem Alter steigt die Maximalkraftfähigkeit von Jungen und Mädchen. Nach Menzi et al. (2007) erreichen die Jungen jedoch eine größere Maximalkraftfähigkeit. Aufgrund der Freisetzung androgener Hormone steigt die Trainierbarkeit der männlichen Jugendlichen im Rahmen der Pubertät stark an. Hervorzuheben sind die Muskelmasseanstiege aufgrund der gesteigerten Proteinsynthese (Schmidtbleicher, 1994). Mit Beginn der ersten puberalen Phase steigen die Schnell- und Maximalkraft bei den Jungen und kurzfristig auch bei den Mädchen an (Ehlenz et al., 1998). In dieser Entwicklungsphase fallen unharmonische Bewegungen auf, da das Wachstum der Muskeln hinter dem des Skeletts zurückbleibt. In der Phase der Pubeszenz sind zwischen den Geschlechtern Unterschiede bzgl. der Kraftfähigkeiten festzustellen. Das Kraft-Last-Verhältnis entwickelt sich in der Pubertät weniger günstig und bei Mädchen sind sogar stagnierende Relativkraftverhältnisse vorzufinden (Menzi et al., 2007). In der Adoleszenz erreichen Mädchen nur noch ca. zwei Drittel der Kraft- und Schnellkraftleistungen von Jungen (Winter, 1998).
In der motorischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen kann ein zielgerichtetes Krafttraining dazu beitragen, die sportliche Leistung zu erhöhen und die Gesundheit zu fördern (Gabriel et al., 2016). Dabei sind in allen Entwicklungsphasen alle Komponenten der körperlichen Fitness (Schnelligkeit, Kraftausdauer, Maximalkraft, Gewandtheit) trainierbar. Die Trainerbarkeit muss sich jedoch am biologischen Alter der Kinder und Jugendlichen orientieren (Lüder et al., 2018). In der folgenden Tabelle sind die Entwicklungsstufen und die spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Entwicklungsabschnittes in Anlehnung an Fröhlich et al. (2009) dargestellt. Im folgenden Abschnitt wird das ganzheitliche motorische Entwicklungsmodell von Lloyd et al. (2015) näher beschrieben.
Entwicklungsmodell für das Kinder- und Jugendtraining
Ausgehend von der Regierung und den professionellen Sportvereinen besteht aktuell ein hohes Interesse an der Entwicklung von Nachwuchsleistungssportlern. Hierbei ist vor allem die athletische Entwicklung, die Maximierung der körperlichen Fitness sowie die Reduzierung des Verletzungsrisikos im Kindes- und Jugendalter von großer Bedeutung. Das Ziel besteht darin, athletische und robuste Nachwuchsleistungssportler zu entwickeln. Das Krafttraining im Nachwuchsleistungssport wurde in der Vergangenheit aus Angst vor Verletzungen und reduzierter Anpassungsfähigkeit hinterfragt. Nach aktuellen evidenzbasierten Erkenntnissen erreichen Kinder und Jugendliche durch ein angemessenes Entwicklungstraining wichtige Adaptationen ungeachtet der Reifestufe (Lloyd & Oliver, 2012). Ein Krafttraining steigert die körperliche Fitness und das Verletzungsrisiko wird reduziert.
Das „Youth Physical Development-Modell“ von Lloyd und Oliver (2012) vereinigt wissenschaftliche Erkenntnisse mit dem aktuellen Verständnis von Trainingswirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen. Das Modell beinhaltet, verglichen mit früheren Entwicklungsmodellen (Balyi & Hamilton, 2004), alle Komponenten der körperlichen Fitness (z. B. Kraft, elementare Bewegungsfertigkeiten, Beweglichkeit). Die Komponenten der körperlichen Fitness sind mit unterschiedlichen Schwerpunkten in allen Phasen der biologischen Reife trainierbar und entwickelbar. Kinder und Jugendliche sind nach aktuellen Studien in der Lage ihre körperliche Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Dies betrifft unter anderem die Laufgeschwindigkeit (Rumpf et al., 2012; Moran et al., 2016), die Ausdauer (Armstrong & Barker, 2011), die Schnellkraft (Behm et al., 2017) sowie die motorischen Fertigkeiten (Behringer et al., 2011). Ausgehend vom YPD-Modell soll das Kraft- und konditionelle Training im frühen Kindesalter begonnen werden und die Belastung erfolgt auf der Grundlage der biologischen Reife. Im frühen Kindesalter können die Kraft und die Fertigkeiten durch erkundende Aktivitäten sowie durch grundlegende gymnastische Bewegungen entwickelt bzw. gefördert werden. Ziel des frühen Trainingsbeginns ist die Nutzung der neuronalen Plastizität in den frühen Kindheitsjahren (Gogtay et al., 2004). In der Kindheit wird somit das Fundament für das spätere Athletiktraining geschaffen. Dabei stehen die Entwicklungen der Kraft und elementarer Bewegungsfertigkeiten im Mittelpunkt (Lloyd, 2018).
Ziel des Modells ist eine altersgemäße Zuordnung und Periodisierung von psychosozialen und körperlichen Entwicklungsinhalten. Die Einteilung in die Altersstufen (frühes Kindesalter, mittleres und spätes Kindesalter, Jugendalter, Erwachsenalter) dient als grobe Orientierung und erfolgt anhand des kalendarischen Alters. Für eine langfristige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sollten sich die Trainingsinhalte am biologischen Reifegrad orientieren. Im motorischen Entwicklungsmodell werden die präpubertäre, pubertäre und postpubertäre Phase unterschieden. Im Entwicklungsmodell verdeutlicht die unterschiedliche Schriftgröße der Begriffe die Gewichtung im langfristigen Entwicklungsverlauf. Eine größere Schriftgröße zeigt eine entsprechend höhere Gewichtung an. Die Schattierungen kennzeichnen eine unterschiedliche Gewichtung in den differenzierten Reifungsphasen (präpubertär, PHV, postpubertär). Die Einteilung orientiert sich am Beginn des sogenannten Wachstumsschubs. In dieser Phase ist mit der größten Körperhöhenveränderung (Peak-Height-Velocity) zu rechnen. Daraus resultieren trainingspraktische Konsequenzen wie beispielsweise die Übungsauswahl und Belastungshöhe. Mithilfe des Regressionsmodells von Mirwald et al. (2012) kann durch die Angaben zum Geschlecht, zum Geburts- und Testdatum, zur Körperhöhe stehend und sitzend sowie der Körpermasse das biologische Alter bzw. der Beginn des Wachstumsschubs abgeschätzt werden (Mirwald et al., 2002; Sherar, 2005). Eine kostenfreie Software zur Berechnung der PHV kann auf der Homepage des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft heruntergeladen werden (https://www.iat.uni-leipzig.de/service/downloads/fachbereiche/technik-taktik/biofinal/view).
Mit dem Entwicklungsmodell von Lloyd et al. (2015) sollen Kinder und Jugendliche für ein lebenslanges Sporttreiben motiviert werden. Dies soll durch eine individualisierte motorische Entwicklungsförderung anhand des biologischen Alters erfolgen. Alle Komponenten der körperlichen Fitness sind nach Lloyd et al. (2015) zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung trainierbar. In Abhängigkeit des biologischen Reifegrades unterscheidet sich die Trainierbarkeit der einzelnen Komponenten. Die elementaren Bewegungsfertigkeiten (z. B. Springen, Werfen, Laufen) sollten in den präpubertären Entwicklungsphasen bis zur mittleren Kindheit entwickelt und durch ein systematisches Training gefördert werden. In diesem Altersbereich spielt der Spaßfaktor im Training eine entscheidende Rolle. Die Entwicklung und Förderung von sportartspezifischen Fertigkeiten (z. B. Weitspring, Sperrwurf) gewinnt ab dem späten Kindesalter und insbesondere mit Beginn der Pubeszenz an Bedeutung. Ab dem mittleren Kindesalter werden die Fitnesskomponenten Gewandtheit, Schnelligkeit sowie Maximal- und Schnellkraft besonders gefördert. Bereits ab der frühen Kindheit kann die Kraftausdauer entwickelt werden und bleibt bis ins junge Erwachsenenalter ein fester Bestandteil über alle Entwicklungsphasen hinweg. Das zentrale Element im Modell von Lloyd et al. (2015) stellt die Förderung der Muskelkraft dar. Sie bildet für weitere athletische Komponenten (z. B. Plyometrie, Laufgeschwindigkeit) die Grundlage. Das Training sollte abwechslungsreich gestaltet werden und die Priorität liegt auf der Entwicklung der Schnellkraft, Muskelkraft und Bewegungskompetenz. Kinder und Jugendliche, welche eine größere Bewegungsqualität aufweisen, erreichen höhere Kraft- und Athletikwerte, haben ein reduziertes Verletzungsrisiko und die Chance auf eine langfristige Teilnahme am Leistungs- und Freizeitsport (Faigenbaum et al., 2016; Lloyd, 2018; Lüder et al., 2018). In der folgenden Abbildung ist das ganzheitliche motorische Entwicklungsmodell von Lloyd et al. dargestellt.
Wirkungen von Krafttraining im Entwicklungsverlauf
Seit den 1970er Jahren ist das Forschungsinteresse am Thema Kraft und Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen deutlich gestiegen. Büsch et al. (2017) führten eine systematische Literaturrecherche in der Datenbank PupMed zur Thematik Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen durch. Im Zeitraum zwischen 1970 bis 2017 fanden sie 68.649 Publikationen. Dabei wurden Expertenmeinungen sowie systematische Übersichtartikel und Metaanalysen betrachtet.
Das Krafttraining im Kindes- und Jugendbereich umfasst drei übergeordnete Zielstellungen. Diese sind die Entwicklung der sportlichen und alltagsmotorischen Leistung sowie die Förderung der Gesundheit und des psychosozialen Wohlbefindens. Aus aktuellen Studien geht hervor, dass ein Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen die Kraft sowie die körperliche Leistungsfähigkeit über die reifebedingten Veränderungen steigern kann (Behringer et al., 2011; Granacher et al., 2011; Lloyd et al., 2014). Aus Metaanalysen geht hervor, dass ein altersgerechtes Krafttraining sowohl im präpubertären (Mädchen: 11-12 Jahre, Jungen: 13-14 Jahre) als auch im pubertären Alter (Mädchen: 12-18 Jahre, Jungen: 14-18 Jahre) zu Kraftsteigerungen führt. Die Studien belegen eine Steigerung der Kraft um 10 bis 40 Prozent (Falk & Tenenbaum, 1996; Payne et al., 1997; Behringer et al., 2010; Lazaridis, 2013). Aus der meta-analytischen Untersuchung von Behringer et al. (2010) wurde herausgefunden, dass ein Krafttraining mit Heranwachsenden große Effekte bezüglich der Verbesserung des Kraftniveaus bewirkt. Einfluss auf die entsprechenden Zuwachsraten haben das Geschlecht, die Belastungsgestaltung, das biologische Alter sowie die Trainingsmethode. Diese Faktoren müssen bei der Bewertung beachtet werden. In den Entwicklungsphasen unterscheiden sich die relativen Kraftzuwachsraten nicht bedeutsam. In Bezug auf die absoluten Verbesserungen erreichen postpubertäre Jungen größere Krafttrainingseffekte als präpubertäre Jungen (Lloyd & Oliver, 2014). Anhand einer Metaanalyse von Lesinski, Prieske und Granacher (2016) sowie eines Literaturüberblicks von Granacher et al. (2016) konnte gezeigt werden, dass ein Krafttraining auch im Nachwuchsleistungssport, unabhängig von Geschlecht, Trainingsform und Alter zu bedeutsamen Kraftzuwächsen führt. In Anlehnung an Rhea (2004) kann mithilfe von standardisierten Effektgrößen (EG) die Bedeutsamkeit der Kraftzuwächse berechnet werden (EG < 0,35 = trivialer Effekt, 0,35 ≤ EG < 0,80 = kleiner Effekt, 0,80 ≤ EG < 1,50 = mittlerer Effekt, EG ≥ 1,50 = großer Effekt). Ein Krafttraining zeigt unabhängig von Geschlecht, Trainingsform und Alter mittlere Effekte auf die Maximal- (EG = 1,09) und Schnellkraft (EG = 0,80) sowie kleine Effekte auf die sportartspezifische Leistung (z. B. Wurfgeschwindigkeit ; EG = 0,75) und auf die Kraftausdauer (EG = 0,57).
Unter der Berücksichtigung des kalendarischen Alters ergaben sich für die Maximalkraft mittlere Effekte im Kindes- (EG = 1,35) und Jugendalter (EG = 0,91). Für die Schnellkraft konnten kleine Effekte (Kindern: EG = 0,78) sowie mittlere Effekte (Jugendliche: EG = 0,85) ermittelt werden. Bezüglich der Kraftausdauer konnten für Kinder keine Angaben gemacht werden, aufgrund der fehlenden bzw. nicht ausreichenden Studienergebnisse. Im Jugendalter konnten bzgl. der Kraftausdauer triviale Effekte (EG = 0,19) festgestellt werden. Die Wirkung eines Krafttrainings auf die sportartspezifische Leistung steigt mit zunehmendem Alter (Kinder: EG = 0,50; Jugendliche: EG = 1,03).
Unter der Berücksichtigung des Geschlechts konnten für die Maximalkraft mittlere Effekte (Mädchen: k. A.; Jungen: EG = 1,21) ermittelt werden. Für die Schnellkraft ergaben sich kleine (Mädchen: EG = 0,61) bis mittlere (Jungen: EG = 0,85) Effekte. Für die Wirkung eines Krafttrainings bezogen auf die Verbesserung der Kraftausdauer konnten kleine Effekte (Mädchen: k. A.; Jungen: EG = 0,77) berechnet werden. Signifikant (p = 0,04) geschlechtsspezifische Wirkungen zeigten sich in Bezug auf die sportartspezifische Leistung. Die Mädchen (EG = 1,81) erreichten hierbei größere Effekte als die Jungen (EG = 0,72).
Ein uneinheitliches Bild zeigte sich bei der Wirkung eines Krafttrainings auf die Maximal- und Schnellkraft, die Kraftausdauer sowie auf sportartspezifische Leistungen in Abhängigkeit von der Trainingsform. Um die Maximalkraft zu verbessern, zeigten sich signifikant höherer Wirkungen (p < 0,001) zugunsten eines Freihanteltrainings (EG = 2,97) gegenüber einem Krafttraining an Maschinen in Kombination mit Freihanteln (EG = 1,16), einem funktionellen Training (EG = 0,62), einem plyometrischen Training (EG = 0,39) und einem Krafttraining an Maschinen (EG = 0,36).
Funktionen und Zielstellungen eines Krafttrainings im Nachwuchsleistungssport
Die Funktionen und Zielstellungen eines Krafttrainings im Nachwuchsleistungssport sind sehr vielfältig und umfassen die Belastbarkeitssicherung, die Verletzungs- und Fehlbelastungsprophylaxe, die Verbesserung der Muskelkraft und der sportmotorischen Leistungen sowie die Entwicklung von Voraussetzungen für Lernprozesse im Techniktraining. Bezüglich akuter und chronischer Schädigungen des Bewegungsapparates und typischer bewegungsbedingter Erkrankungen hat Krafttraining einen primärpräventiven Charakter. Untersuchungen von Hagberg et al. (1984) und Watts et al. (2004) bestätigen die positiven Effekte auf das kardiovaskuläre System (Blutlipide, Blutdruck) sowie auf psychologische Merkmale, u. a. der Verbesserung der Selbsteinschätzung, des Selbstvertrauens, des Selbstwertgefühls und der Aufmerksamkeitsleistungen (Rians et al.,1987; Holloway et al.,1988; Annesi et al., 2005). Im Sinne der Verletzungs- und Osteoporoseprophylaxe wirkt sich ein Krafttraining positiv auf die Knochenmineralisation (Knochenmineralgehalt, Knochendichte) aus (Morris et al., 1997; Nichols et al., 2001; Yu et al., 2005). Weiterhin hat ein Krafttraining einen positiven Einfluss auf die Körperzusammensetzung, hinsichtlich der Zunahme der fettfreien Körpermasse und der Abnahme des Körperfettanteils (Treuth et al., 1998; Watts et al., 2004; Yu et al., 2005; Shaibi et al., 2006). Im Sinne der Belastbarkeitssicherung können sportlich engagierte Mädchen und Jungen auch aus verletzungspräventiver Sicht von einem regelmäßigen Krafttraining profitieren (Faigenbaum & Myer, 2010; Faigenbaum et al., 2016). Das Krafttraining im Nachwuchsleistungssport gilt als wichtigste Maßnahme, um die Belastungsverträglichkeit nachhaltig zu sichern (Lloyd et al., 2015). Studien belegen eine Reduktion des Verletzungsrisikos in Spielsportarten durch Kräftigungsübungen (Rumpfstabilisation, Haltungsschulung), welche mittelfristig in der Vorbereitungsperiode bzw. langfristig im Rahmen der Aufwärmprogramme integriert wurden (Hewett et al., 1999; Heidt et al., 2000; Soligard et al., 2008). Der Erfolg der verletzungspräventiven Maßnahmen hängt dabei von der Trainingsbereitschaft der Sportler ab (Steffen et al., 2008). Im Vergleich zu anderen Sportarten (Fußball: 6,2; Badminton: 0,05 Verletzungen pro 100 Stunden Training) zeichnet sich ein angeleitetes Krafttraining durch ein extrem geringes Verletzungsrisiko (0,003 Verletzungen pro 100 Stunden Krafttraining mit Adoleszenten) aus (Hamill, 1994; Malina, 2006; Faigenbaum & McFarland, 2008; Myer et al., 2009; Faigenbaum et al., 2011). In vielen Sportarten, wie zum Beispiel im Schwimmen, Eisschnelllauf, Ringen, Geräteturnen sowie im Gewichtheben ist das Krafttraining unverzichtbar. Für eine hochwertige Technikausführung werden muskuläre Voraussetzungen benötigt, welche durch ein altersgerechtes Krafttraining entwickelt werden können. In diesem Sinne erfüllt es eine „Eintrittskartenfunktion“ für die Sportarten. Neben der Verbesserung der Ausführungsqualität wird in verschiedenen Sportarten (technisch-akrobatische Sportarten, Sportspiele, Radsport) auch der Wirkungsgrad der Technik erhöht. Damit erfüllt das Krafttraining eine „Optimierungsfunktion“ hinsichtlich der sportlichen Technik (Horn et al., 2012). In der folgenden Abbildung ist der aktuelle empirische Kenntnisstand zu Auswirkungen eines Krafttrainings im Kindes- und Jugendalter zusammengefasst.
Krafttrainingsempfehlungen im Entwicklungsverlauf
Seit den 1980er Jahren ist Krafttraining in vielen nationalen Vereinigungen (National Strength and Conditioning Association, Australian Strength and Conditioning Association, American College of Sports Medicine) und in vielen Reviews anerkannt und gilt als sicher, gesund, kraft- und schnellkraftoptimierend (Behm et al., 2008; Behm et al., 2017). Nach aktuellen Studien bildet das Krafttraining eine wichtige Maßnahme zur Bewegungsförderung und sollte in allen Etappen des langfristigen Leistungsaufbaus Anwendung finden (Lloyd & Oliver, 2012; Faigenbaum et al., 2016). Bei der Erstellung eines Krafttrainings im Nachwuchsbereich müssen sowohl das Alter, das Geschlecht und die Trainingsform berücksichtigt werden (Lesinski, Prieske & Granacher, 2016). Ein Expertenteam entwickelte in Anlehnung an das „Modell zur ganzheitlichen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter“ von Lloyd et al. (2015) ein „konzeptionelles Modell zur Implementierung verschiedener Krafttrainingsformen im Entwicklungsverlauf“. In der Abbildung ist das Modell in Anlehnung an Granacher et al. (2016) dargestellt. Hierbei stehen zielgerichtete Krafttrainingsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung und zur Entwicklung der sportlichen Leistung im Fokus (Gabriel et al., 2016).
Nach Büsch et al. (2017) führt ein gezieltes Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen zur Steigerung der Kraft (Maximalkraft, Schnellkraft, Kraftausdauer), zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit, zur Sicherung der Belastbarkeitsverträglichkeit sowie zur Prävention von Verletzungen (Heidt et al., 2000; Faigenbaum, 2007). Aus dem konzeptionellen Modell von Granacher et al. (2016) geht hervor, dass in allen Etappen des langfristigen Leistungsaufbaus (allgemeine Grundausbildung, Grundlagen-, Aufbau-, Anschluss- und Hochleistungstraining) ein Krafttraining in seinen unterschiedlichen Ausprägungsformen (z. B. Reaktivkrafttraining, Rumpfkrafttraining, Hypertrophietraining, Komplextraining) zur Steigerung der Muskelkraft (Maximal- und Schnellkraft, Kraftausdauer) durchgeführt werden sollte. Das Modell orientiert sich primär am biologischen Alter der Nachwuchssportler und unterscheidet zwischen Früh-, Normal- und Spätentwickler (Zinke et al., 2018).
Einen hohen Stellenwert in allen Entwicklungsetappen besitzt das Gleichgewichtstraining, welches als krafttrainingsvorbereitende sowie als krafttrainingsunterstützende Maßnahme eingesetzt werden kann (Lesinski et al., 2015). Nach Gebel et al. (2018) bildet ein Gleichgewichtstraining unabhängig vom Geschlecht, Alter und Trainingsstatus eine effektive Methode zur Verbesserung des statischen und dynamischen Gleichgewichts von Kindern und Jugendlichen. Ein Gleichgewichtstraining (vierwöchiges Training) kann neben der Gleichgewichtsleistung auch die Sprung- und Explosivkraft signifikant verbessern (Granacher, 2010). Somit können Transfereffekte auf Kraftleistungen erzielt werden. Nach der Vorbereitung des neuromuskulären Systems durch ein Gleichgewichtstraining können Kinder sicher mit einem Schnellkrafttraining (plyometischen Training) beginnen. Für Kinder sind hohe Amplituden bei einem Schnellkrafttraining (z. B. Sprünge von hohen Plattformen) nicht zu empfehlen. In allen Altersbereichen können plyometrische Übungen mit geringer Amplitude (z. B. Hooping, Skipping) in das Training eingebaut werden (Behm, 2018). Bei einem Reaktivkrafttraining mit Kindern und Jugendlichen sollten nach Büsch et al. (2016) keine Zusatzlasten verwendet werden, aufgrund der noch andauernden Wachstums- und Reifungsprozesse der muskulären, tendinösen und skeletalen Strukturen. Zudem besteht ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei einem Reaktivkrafttraining mit Zusatzlasten. (Caine, DiFiori & Maffulli, 2006). Das Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen kann sowohl auf stabilen vs. instabilen Untergründen erfolgen. Bezüglich der Verbesserung der Sprungleistung hat ein Krafttraining auf instabilem Untergrund keinen zusätzlichen Effekt (Knobloch et al., 2005; Granacher et al., 2015). Ein Krafttraining auf instabilem Untergrund kann jedoch zur Verletzungsprophylaxe eingesetzt werden (Knobloch et al., 2005). Die Frage nach der optimalen Reihenfolge von Kraft- und Gleichgewichtstraining wurde in der Studie von Hammami et al. (2016) untersucht. Um eine kontinuierliche Leistungssteigerung zu gewährleisten, sollte bei einer Blockperiodisierung das Gleichgewichtstraining vor dem Krafttraining bei Nachwuchssportlern absolviert werden. Die Sequenzierung spielt jedoch eine untergeordnete Rolle, wenn beide Trainingsformen innerhalb einer Trainingseinheit angewendet werden (Hammami et al., 2016; Chaouachi et al., 2017).
Bedeutsam für den Nachwuchsleistungssport ist die Sequenzierung von Krafttraining und sportartspezifischen Trainingsinhalten. In einer Studie von Fernandez-Fernandez et al. (2018) wurde die Wirkung eines kombinierten Reaktivkraft- und Agilitätstraining (fünfwöchig) vor und nach einem spezifischen Tennistraining auf die Sprint-, Sprung- und Agilitätsleistung untersucht. Größere Leistungssteigerungen konnten festgestellt werden, wenn ein kombiniertes Reaktivkraft- und Agilitätstraining vor einem sportartspezifischen Training durchgeführt wird. Oftmals ist es in vielen Sportarten nötig, innerhalb eines Mikrozyklus bzw. eines Tageszyklus die Kraft und die Ausdauer zu trainieren. Aus der Untersuchung von Gäbler et al. (2018) führt ein „concurrent training“, bei dem innerhalb eines Mikrozyklus sowohl Kraft- als auch Ausdauerinhalte kombiniert werden, zu größeren Steigerungen in der sportartspezifischen Ausdauerleistung bzw. in der Schnellkraft (Gäbler et al., 2018).
Um eine adäquate Kraftgrundlage für das Schnellkrafttraining zu schaffen, sollte in einem Makrozyklus ein Krafttraining vor dem Schnellkrafttraining durchgeführt werden (Behm et al., 2017). Zur Verbesserung der Schnell- und Explosivkraft kann das olympische Gewichtheben bei Kindern und Jugendlichen als effektive Methode eingesetzt werden. Für Anpassungen im Schnellkrafttraining sind explosivkräftige Kontraktionen, wie sie im Gewichtheben vorkommen, nötig (Behm & Sale, 1993a; Behm & Sale, 1993b). In vielen Sportarten (z. B. Ringen, Volleyball, Fußball, Leichtathletik) kommen Übungen aus dem Gewichtheben zur Anwendung. Im Vergleich zu einem traditionellen Krafttraining führt das olympische Gewichtheben zu besseren Leistungsparametern. Bei der Erlernung der adäquaten Bewegungsausführung wird relativ viel Zeit benötigt, weshalb im frühen Kindesalter die Techniken erlernt werden müssen (Channell & Barfield, 2008; Ebada, 2011; Chaouachi et al., 2014).
Zur Gestaltung eines effektiven Krafttrainings im Nachwuchsleistungssport wurden aus Metaanalysen konkrete Belastungsgrößen zur Dosis-Wirkungs-Beziehung abgeleitet (Lesinski et al., 2016). Die Modulation der einzelnen Belastungsparameter ist vorrangig für die Entwicklung der Maximalkraft entscheidend. Um größtmögliche Zuwächse in der Maximalkraft zu erreichen, empfiehlt sich ein langfristiges Krafttraining über >23 Wochen. Dabei sollte eine Belastungsintensität von 80 bis 89 Prozent des Einer-Wiederholungs-Maximums verwendet werden. Fünf Sätze pro Übungen, sechs bis acht Wiederholungen pro Satz und drei bis vier Minuten Satzpause sollten eingehalten werden, um die Maximalkraft im Nachwuchsbereich optimal zu entwickeln. Abhängig von Alter, Geschlecht, Leistungs- und Trainingszustand müssen diese Empfehlungen zur Belastungsdosierung individuell angepasst werden (Lesinski et al., 2016; Büsch et al., 2017). Zur Steuerung des Krafttrainings sollten neben den Belastungsgrößen auch Beanspruchungsparameter (z. B. Anstrengungsskalen) erhoben werden (Faigenbaum et al., 2004; Büsch et al., 2015; Scott et al., 2016). Vor der Intensitätserhöhung muss die Bewegungstechnik einwandfrei beherrscht werden. Für den Krafttrainingseinstieg eignen sich besonders maschinengestützte Trainingsübungen, da die koordinativen Anforderungen an die Bewegungsausführung gering sind (Mühlbauer et al., 2013). Bei den Krafttrainingsmaschinen ist darauf zu achten, dass diese an die Körpermaße der Kinder und Jugendlichen angepasst werden können und eine Feinabstufung der Last möglich ist (Lesinski et al., 2016). Nach Mühlbauer et al. (2013) sollten Kinder zu Beginn des Krafttrainings mit leichten Widerständen beginnen und diese schrittweise erhöhen. Koordinativ herausfordernde Trainingsübungen sollten zu Beginn einer Trainingseinheit, im ermüdungsfreien Zustand durchgeführt werden. Zu beachten ist eine ausgeglichene Übungsverteilung (Agonisten vs. Antagonisten) im Training, um Dysbalancen vorzubeugen. Bei der Durchführung eines Sehnentrainings (exzentrische Muskelaktion) ist auf eine langsame und kontrollierte Ausführung zu achten, um Belastungsspitzen in den Gelenken zu vermeiden. Das Training zur Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Sehnen sollte 3-mal pro Woche angewendet werden. Aus aktuellen Erkenntnissen müssen Muskelkontraktionen mit hohen Intensitäten (≥ 85 Prozent der maximalen isometrischen Kraft) und einer Anspannungsdauer von drei Sekunden (pro Wiederholung) für isometrische und sechs Sekunden für dynamische (exzentrisch, konzentrisch) Kontraktionen angewendet werden, um geeignete Anpassungsprozesse im Sehnengewebe auszulösen. Das Training beinhaltet fünf Sätze mit jeweils vier Wiederholungen und einer Pausendauer von ein bis zwei Minuten (Mersmann, Bohm & Arampatzis, 2016). Neben der Erhöhung der sportlichen Leistung in Schnellkraftdisziplinen kann ein spezifisches Sehnentraining zur Verletzungsprophylaxe für Nachwuchsleistungssport eingesetzt werden (Bojsen-Møller et al., 2005; Waugh et al., 2013).
Ein Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen hat sowohl positive Auswirkungen auf die Gesundheit als auch auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Den Beginn des Krafttrainings bilden Gleichgewichts- und Koordinationsübungen ohne Widerstände. Mit zunehmender Sicherheit kann das Krafttraining mit geringen Lasten und unter instabilen Bedingungen begonnen werden. Studien belegen, dass ein plyometrisches Training mit weniger Wiederholungen (≤ 10) zu bessern plyometrischen Leistungen führen (Chaouachi et al., 2013). Übungen aus dem olympischen Gewichtheben müssen zu Beginn der Trainingseinheit durchgeführt werden und die Erlernung der Techniken erfolgt mich relativ geringen Lasten. In der PHV-Stufe ist die motorische Koordination durch das beschleunigte Wachstum beeinträchtigt. Kinder und Jugendliche sollten in der Pre-PHV- und PHV-Stufe die Techniken des Gewichthebens mit leichten bis moderaten Lasten erlernen. In der Post-PHV-Stufe können höhere Gewichte für die Übungen im Gewichtheben verwendet werden (Behm, 2018).
Bedeutung und Begriff des langfristigen Leistungsaufbaus
Aufgrund der rasanten Leistungsentwicklung in der Weltspitze sowie der zunehmenden Leistungsdichte im internationalen Spitzensport erfordern Höchstleistungen das Überwinden von immer größeren Leistungsdifferenzen. Das Problem besteht in der Bewältigung der zunehmenden Leistungsunterschiede zwischen den Einstiegsleistungen beim Trainingsbeginn und den späteren Höchstleistungen im Spitzenbereich. Aus Weltstandsanalysen des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft liegt die Lösung des Problems in der Erhöhung der Trainingswirksamkeit. Neben der Entwicklung neuer inhaltlicher und methodischer Konzepte müssen auch im Training die Leistungsanforderungen steigen (Martin et al., 1999).
Der langfristige Leistungsaufbau kennzeichnet den systematischen Aufbau der sportlichen Leistung durch Training, vom Anfänger bis zum Hochleistungssportler. Zunächst kann der langfristige Leistungsaufbau in das Nachwuchstraining und Hochleistungstraining unterteilt werden (Schnabel, Harre & Krug, 2014). Drei wesentliche Merkmale unterscheiden Martin, Rost, Krug und Reiß (1998): Ziel im Nachwuchstraining ist es, altersspezifische Aufgaben und Inhalte der Ausbildungsetappe zu erfüllen. Dabei müssen keine sportlichen Höchstleistungen erbracht werden. Außerdem sollen Leistungsvoraussetzungen für die späteren Entwicklungsetappen geschaffen werden. Somit ist das Nachwuchstraining durch einen perspektivischen Charakter gekennzeichnet. Der langfristige Leistungsaufbau wird nach Schnabel, Harre und Borde (1994) wie folgt definiert:
Der langfristige Leistungsaufbau ist ein zielbestimmt gesteuerter Entwicklungsprozess der sportlichen Leistungsfähigkeit und der Leistungsbereitschaft vom Beginn des leistungssportlichen Trainings bis zum Erreichen sportlicher Höchstleistungen. Er wird als einheitlicher Prozess in inhaltlich akzentuierten und systematisch aufeinander aufbauenden Ausbildungsetappen sportartspezifisch konzipiert und realisiert. (Schnabel, Harre & Borde, 1994, S. 404)
Das nationale Leistungssportsystem mit adäquaten Förderbedingungen und Kriterien der Förderentscheidungen bildet dabei die Grundvoraussetzung für einen systematischen Leistungsaufbau. Leistungsvoraussetzungen und Wettkampfleistungen bilden dafür im Nachwuchstraining die Kriterien. Sportliche Höchstleistungen können nach Martin (1988) durch das systematische Erreichen einer bestimmten Abfolge von Ausbildungszielen erreicht werden. Der notwendige Rahmen wird durch die zeitliche Strukturierung und Gliederung des langfristigen Leistungsaufbaus in den Ausbildungsetappen gebildet. Jede Etappe besitzt nach Rost (1989) ihre eigenen Zielstellungen, Aufgaben und Inhalte.
Überblick zu Modellen des langfristigen Leistungsaufbaus
Zu Beginn der 60er Jahre entstanden erste Erwägungen, das Training in seinen zeitlichen Verlauf stärker zu gliedern und einzelne Teilbereiche festzulegen. Die einzelnen Bereiche sollten sich methodisch und inhaltlich unterscheiden. Grundlage hierfür bildeten etappenspezifische Zielstellungen. Um immer höhere Leistungen im Sport zu erreichen, stiegen die Trainingsbelastungen sowohl im Erwachsenenalter als auch im Kindes- und Jugendtraining. Durch die allmähliche Vorverlagerung des Trainingsbeginns in ein immer jüngeres Trainingsalter wurden Spitzenleistungen im Sport in einigen Sportarten schon von Jugendlichen oder Kindern erzielt. Im Zuge der Entwicklungen waren die bis dahin gültigen Etappen (Kinder-, Jugend- und Erwachsentraining) nicht mehr ausreichend, aufgrund der verstärkten inhaltlich-methodischen Differenzierung der Ausbildungswege der verschiedenen Sportarten (Thieß, 1964). Um das Nachwuchstraining besser zu strukturieren und effektiver zu gestalten, wurden zahlreiche Modelle entwickelt (u. a. Harre, 1969; Höger, 1969; Fomin & Filin, 1975; Bauersfeld & Schröter, 1979; Martin, 1980; Matwejew & Nowikow, 1982; Rost, 1983; Carl, 1984). Alle Modelle bauten auf der Etappenstruktur von Thieß (1964) auf. Den langfristigen Trainingsprozess gliederte Thies in das Grundlagentraining, Aufbautraining und Hochleistungstraining. Alle Modelle beinhalteten einen mehrstufigen Entwicklungsprozess und eine vielseitige Grundlagenausbildung zur Entwicklung motorischer Fähig- und Fertigkeiten. Das Ziel des langfristigen Leistungsaufbaus bestand im Erreichen der sportlichen Höchstleistung.
Aufgrund von Untersuchungen stellten Schuster und Rost (1983) fest, dass nur vereinzelt Nachwuchssportler den direkten Übergang vom Aufbautraining zum Hochleistungstraining bewältigten. Deshalb fügten sie die Etappe des Anschlusstrainings zwischen Aufbau- und Hochleistungstraining ein. Teile des Anschlusstrainings wurden sowohl dem Nachwuchstraining als auch dem Hochleistungstraining zugeordnet. Aus trainingspraktischen Empfehlungen (Hiersemann, 1989) stellten Martin, Carl und Lehnertz (1991) den langfristigen Leistungsaufbau in drei Trainingsstufen dar: allgemeine Grundausbildung, Nachwuchstraining und Hochleistungstraining. Dabei untergliederten sie das Nachwuchstraining in die Trainingsetappen Grundlagentraining, Aufbautraining und Anschlusstraining. In der Tabelle ist der Trainingsaufbau im spitzensportorientierten Training nach Martin, Carl und Lehnertz, 1991 dargestellt.
Strukturmodell des langfristigen Leistungsaufbaus
In der modernen Trainingswissenschaft besteht weitgehend Einigkeit über den theoretischen Erkenntnisstand und die Systematik des langfristigen Leistungsaufbaus mit seiner Etappenstruktur. In der Abbildung ist das Strukturmodell des langfristigen Leistungsaufbaus nach Pechtl, Ostrowski und Klose, 1993 dargestellt. Charakteristisch für dieses Modell ist das mehrheitliche Gliederungssystem (Ausbildungsetappen, Kaderbereiche, Fördereinrichtungen).
Der langfristige Leistungsaufbau wird in der ersten Gliederungsebene in das Nachwuchstraining und das Hochleistungstraining unterteilt. Das Nachwuchstraining, welches in das Grundlagentraining, das Aufbautraining und das Anschlusstraining gegliedert wird, bildet die zweite Gliederungsebene. Jede Ausbildungsetappe ist gekennzeichnet durch spezifische Ziele, Aufgaben und Inhalte. Zur Sicherung eines hochwertigen Trainings ist jede Ausbildungsetappe mit einer Förderstufe verbunden (Fördereinrichtung). Die einzelnen Kaderbereiche sind in gleicher Weise zu bestimmten Ausbildungsetappen zugeordnet. Auf der Grundlage bundeseinheitlicher Kaderkriterien werden talentierte Sportler und Sportlerinnen innerhalb einer Ausbildungsetappe in den jeweiligen Kader berufen. Jede Ausbildungsetappe ist an bestimmte Altersbereiche gebunden, welche aufgrund der Sportartspezifik recht unterschiedlich sein können. Die notwendigen Trainingsjahre zur Realisierung der einzelnen Ausbildungsetappen innerhalb des langfristigen Leistungsaufbaus sind in dem Strukturmodell mit einem Zeitpfeil dargestellt und sollten sich in der praktischen Umsetzung auf das biologische Alter der Sportler beziehen (Martin et al., 1999).
Ausbildungsetappen
Anhand des Strukturmodells wird der langfristige Leistungsaufbau in das Nachwuchs- und Hochleistungstraining untergliedert. Das Grundlagen-, Aufbau- und Anschlusstraining bilden die Ausbildungsetappen des Nachwuchstrainings.
Allgemeine Grundausbildung
Vor Beginn des langfristigen Leistungsaufbaus findet die allgemeine Grundausbildung der Kinder statt. Sie dient als Vorbereitungsstufe für das Training in einer Sportart. Im Vordergrund stehen vielseitige Bewegungserfahrungen und allgemeine sportartübergreifende Trainingsinhalte (Martin et al., 1999).
Grundlagentraining
Die erste Etappe des sportartspezifischen Nachwuchstrainings bildet das Grundlagentraining, mit vielseitig sportartgerichteten Trainingsinhalten. Ziel der Ausbildung ist es, unter anderem die Persönlichkeit der Sportler sowie konditionelle, koordinative, sporttechnische, taktische und psychische Grundlagen und Voraussetzungen zu entwickeln (Thieß, Schnabel & Baumann, 1978). Nach Martin et al. (1999) gilt die Ausbildungsetappe als Lern- und Talenterkennungstraining. Koordinative Fähigkeiten, technische Bewegungsabläufe und zyklische und azyklische Schnellkraftleistungen lassen sich besonders gut ausprägen. Nach Borde (1997) liegt die Hauptzielstellung in der Herausbildung grundlegender und sportartspezifischer Leistungsvoraussetzungen. Die systematische Entwicklung von grundlegenden Leistungsvoraussetzungen ist besonders wichtig, um sportliche Höchstleistungen vorzubereiten. Das Training ist gekennzeichnet durch einen relativ hohen Anteil des allgemeinen Trainings sowie eine verstärkte Ausbildung der koordinativen Fähigkeiten, der sporttechnischen Fertigkeiten und der Schnelligkeit. Borde (1997) und Thieß et al. (1978) betonen die Vielseitigkeit der sportartgerichteten Ausbildung. Carl ergänzt 2003 die pädagogische Zielsetzung im Grundlagentraining. Ziel ist es, die sportartgerichtete Leistungsmotivation im Training und Wettkampf herauszubilden (Carl, 2003a). Die Wettkämpfe im Grundlagentraining orientieren sich an den etappenspezifischen Zielen und Aufgaben. Im Verlauf der Ausbildungsetappe erfolgt eine differenzierte Eignungsbestimmung der Sportler für das weitere leistungssportliche Training (Thieß et al., 1978). In den meisten Sportarten erfolgt das Grundlagentraining vor der Pubertät und umfasst drei Trainingsjahre (Borde, 1997). Das Durchlaufen der Etappe vor der Pubertät ist für die Mehrheit der Sportarten zutreffend, jedoch nicht allgemeingültig (Schnabel, Harre, Krug, 2014). Das Grundlagentraining kann wie folgt definiert werden: Die erste Etappe des zielgerichteten langfristigen Trainings- und Leistungsaufbaus ist das Grundlagentraining. Es zielt darauf ab, grundlegende und sportartspezifische Leistungsvoraussetzungen und eine hohe vielseitige Belastbarkeit für künftige Trainingsanforderungen herauszubilden. Das geschieht mit Übungs-, Trainings- und Spielformen der Spezialsportart und anderer Sportarten. (Deutscher Sportbund, 2006, S. 9)
Aufbautraining
Die zweite Etappe des sportartspezifischen Nachwuchstrainings bildet das Aufbautraining. Nach Thieß et al., 1978, bildet eine vielseitige Ausbildung in einer Sportart die Grundlage des Aufbautrainings. Neben der Persönlichkeitsentwicklung der Sportler sollen konditionelle, koordinative, sporttechnische, taktische und psychische Grundlagen erweitert und gefestigt werden. Ziel der Etappe ist es, spezielle Grundlagen für den langfristigen Leistungsaufbau vorzubereiten, eine vielseitige Leistungsfähigkeit herauszubilden und die Spezialisierung der Sportler auf eine Disziplin vorzubereiten. Martin et al. (1999) sprechen in dieser Ausbildungsetappe von einer Anfangsspezialisierung der Sportler. Um die sportliche Leistung zu erhöhen, muss der Anpassungsspielraum des Organismus für höhere Trainingsreize erhöht werden. Besonders gut lassen sich energetisch-organisatorische Leistungsvoraussetzungen wie der physischen Beanspruchungsbereitschaft entwickeln (Martin et al., 1999). Das Aufbautraining ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil des allgemeinen Trainings. Im Laufe der Entwicklung nehmen spezielle Trainingsinhalte sowie die koordinative Ausbildung der Fähig- und Fertigkeiten zu. Im kontinuierlichen Ausbildungsprozess werden leistungsbestimmende Fähig- und Fertigkeiten erworben. Das Training ist abwechslungsreich und vielseitig zu gestalten. Ein weiterer Trainingsschwerpunkt liegt in der Entwicklung der Schnelligkeit (Thieß et al., 1978). Borde ergänzt die Zielstellung des Aufbautrainings, um die Herausbildung der Feinkoordination sportartspezifischer Bewegungshandlungen sowie der Entwicklung kognitiver, emotional-motivationaler und psychischer Leistungsvoraussetzungen (Borde, 1997). Die Anforderungen im Wettkampf entsprechen den Ausbildungszielen und Anforderungen des Aufbautrainings. In dieser Ausbildungsetappe erfolgt die Eignung der Sportler für die Spezialisierung in der Sportart (Thieß et al., 1978). Nach Borde (1997) beträgt die Ausbildungsdauer des Aufbautrainings ca. drei Jahre. Die Ausbildungsetappe kann wie folgt definiert werden: „Das Aufbautraining ist die zweite Etappe des Nachwuchstrainings, in dem eine vielseitige, stärker sportartbezogene Ausbildung erfolgt. Ziele sind die Steigerung des Niveaus allgemeiner und spezieller Leistungsvoraussetzungen und die fortgesetzte Absicherung der Belastbarkeit für künftige Trainingsanforderungen“ (Deutscher Sportbund, 2006, S. 10).
Anschlusstraining
Die letzte Etappe des sportartspezifischen Nachwuchstrainings bildet das Anschlusstraining. Nach Thieß et al. (1978) sind die Persönlichkeitsentwicklung, die Erweiterung der allgemeinen und speziellen Grundlagen sowie die Herausbildung der sportartspezifischen sportlichen Leistung die relevanten Aufgabenstellungen im Anschlusstraining. Das spezielle Training erhält einen hohen Stellenwert und nähert sich dem Hochleistungstraining an. Dabei bleibt das Prinzip der Vielseitigkeit bestehen. Ziel ist die Vervollkommnung und Ausprägung aller leistungsbestimmenden Faktoren der Sportart. Die Trainingsgestaltung ist individuell zu planen und die Periodisierung des Trainings ähnelt dem Hochleistungstraining. Die Sportler sollten am Ende des Anschlusstrainings steigerungsfähige Anschlussleistungen an Welthöchstleistungen erreichen (Thieß et al., 1978). Das Anschlusstraining bildet die Etappe zum Hochleistungstraining und ist durch eine vertiefte Spezialisierung gekennzeichnet. In der Mehrzahl der Sportarten stellt sich nach Rost (1996) das Anschlusstraining zweiphasig dar. Die erste Phase knüpft an das in der Aufbauphase erworbene Niveau vielseitiger und grundlegender Leistungsvoraussetzungen an. Die spezifischen Trainingsanforderungen werden systematisch gesteigert und der Anschluss an das internationale Leistungsniveau der Junioren wird angestrebt. In der zweiten Phase findet die Vorbereitung zum Anschluss an die international üblichen Leistungs- und Trainingsanforderungen des Hochleistungsbereichs statt. Merkmale des Nachwuchstrainings werden durch Prinzipien des Hochleistungstrainings abgelöst (Martin et al., 1999). Auch Borde bezeichnet das Anschlusstraining als „Übergangsetappe vom Nachwuchs- zum Hochleistungstraining“. Charakteristisch ist die Erhöhung des speziellen Trainings, die Steigerung des Umfangs und der Intensität sowie das Erreichen von steigerungsfähigen Anschlussleistungen (Borde, 1997). Das Anschlusstraining kann wie folgt definiert werden: Das Anschlusstraining ist die Übergangsetappe vom Nachwuchs- zum Hochleistungstraining. Es gestaltet sich sportartspezifisch sehr differenziert und gliedert sich in der Regel in zwei mehrjährige Phasen. Ziel der ersten Phase ist der Anschluss an das nationale und internationale Leistungsniveau bei gleichzeitigem Aufbau der Grundlagen für weitere Leistungssteigerungen. Ziel der zweiten Phase ist der Anschluss an die Leistungs- und Trainingsanforderungen der nationalen und internationalen Spitze. (Deutscher Sportbund, 2006, S. 10)
Hochleistungstraining
Das Hochleistungstraining bildet im Anschluss an das sportartspezifische Nachwuchstraining die letzte, meist mehrjährige Etappe im langfristigen Leistungsaufbau. Die Ausbildung im Hochleistungstraining ist individuell ausgerichtet und in einer Sportart spezialisiert. Ziel ist es, sportliche Höchstleistungen in entscheidenden Wettkämpfen zu erreichen. Die Grundlagen hierfür werden in den ersten drei Etappen des langfristigen Leistungsaufbaus gelegt. Hierzu zählen das erreichte Niveau in der Persönlichkeitsentwicklung sowie das sportliche Können des Sportlers (Thieß et al., 1978). Auch Martin et al., 1999, bestätigen die individuelle Trainingsgestaltung im Hochleistungstraining. Ziel ist es, die sportartspezifische Leistungsfähigkeit und deren Leistungsvoraussetzungen höchstmöglich auszuprägen bzw. zu erhalten. Die Inhalte und Struktur des Trainings sind auf das Erreichen sportlicher Höchstleistungen ausgerichtet. Die Trainingsplanung erfolgt individuell und ist auf den Wettkampfhöhepunkt des Sportlers ausgerichtet. Von großer Bedeutung sind hierfür die Zyklisierung des Trainings sowie die kontinuierliche Trainingssteuerung (Borde, 1997). Hervorzuheben sind die hohe Individualisierung sowie die lange Verweildauer in dieser Etappe. Die Belastungen steigen in den ersten Jahren der individuellen Leistungsausprägung an (Schnabel et al., 2014). Das Hochleistungstraining wird durch den Deutschen Sportbund wie folgt definiert: „Mit dem Hochleistungstraining, dessen Ziel internationale Spitzenleistungen sind, erreicht der langfristige Trainings- und Leistungsaufbau seinen Ziel- und Höhepunkt (DSB, 2006, S. 10). Die wesentlichen Merkmale sind die individuelle Trainingsplanung, die Zyklisierung des Trainings, eine kontinuierliche Trainingssteuerung sowie die Sicherung der Einheit von Wettkampf- und Trainingsanforderungen. Das Hochleistungstraining kann in drei Phasen untergliedert werden. Die erste Phase beinhaltet das Erreichen der ersten großen Erfolge. Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch die optimale Ausprägung der sportlichen Leistungsfähigkeit. In Phase drei wird die hohe Leistungsfähigkeit erhalten (Schnabel & Thieß, 1993).
Langfristigkeit des Leistungsaufbaus
Im Nachwuchstraining ergibt sich der Grundsatz der Langfristigkeit aus zwei wesentlichen Gründen. Erstens erfordern spitzensportliche Anforderungen im Training und Wettkampf einen immer längeren Ausbildungsprozess zum Aufbau von Leistungsvoraussetzungen. Zweitens resultiert die lange leistungssportliche Ausbildungsdauer aus den biologischen Gesetzmäßigkeiten, die menschliche Höchstleistungen erst ab einer gewissen Reife des menschlichen Organismus erlauben. Sportliche Spitzenleistungen kommen grundsätzlich durch ein komplexes Gefüge aus Einzelkomponenten (Kondition, Technik, Taktik, Körperstatur etc.) zustande. Die einzelnen Komponenten der Spitzenleistung benötigen unterschiedliche Zeitspannen zur vollständigen Ausbildung. Nach Ericsson, 1996, benötigt man zum Erreichen von Höchstleistungen mindestens eine zehnjährige Ausbildungsdauer (10-Jahresregel). In vielen Sportarten sind deutlich abweichende Trainingszeiträume erforderlich (Ford, Ward, Hodges & Williams, 2009). Neben der Notwendigkeit eines langfristigen Leistungsaufbaus ist der Zeitpunkt des leistungssportlichen Trainingseinstiegs sehr umstritten. In den osteuropäischen und in den asiatischen Ländern bevorzugt man in fast allen Sportarten einen frühestmöglichen Trainingseinstieg. Angelsächsische und westeuropäische Sportnationen hingegen befürworten einen späteren Trainingseinstieg. In diesen Ländern soll der Einstieg in das Training der Zielsportart weit in das Jugendalter verschoben werden. Deutschland hat im Ergebnis dieser „Verzögerungstaktik“ in vielen Sportarten und Disziplinen den Anschluss an die Weltspitze verloren. In einigen Sportarten (u. a. Gewichtheben, Marathonlauf) können aufgrund von biologischen Entwicklungsgesetzen erst im Erwachsenenalter die führenden Leistungsvoraussetzungen (z. B. Maximalkraftfähigkeiten) entwickelt werden. Die Ausbildung von koordinativ-technischen Grundlagen, psychologischen Merkmalen und Einstellungen (z. B. Motivation, Bindung, Kontrollüberzeugung) und körperlicher Belastbarkeit kann dagegen bereits im Kindesalter erfolgen. Eine perfekte Ausbildungsqualität erfordern vor allem koordinativ-technische Leistungsvoraussetzungen im internationalen Spitzensport. Hierfür sind eine langjährige Ausbildungsdauer sowie extrem hohe Wiederholungszahlen notwendig.
In den USA und Kanada vertritt man die Meinung, dass der Trainingseinstieg in vielen Sportarten erst nach den „Sammeljahren“ erforderlich ist. Die damit verbundenen Technikdefizite können die Sportler durch den hohen athletischen Trainingsanteil im Verlauf des späteren Hochschulbesuchs ausgleichen. Die Strategie des späten Trainingseinstiegs geht jedoch nur in den technikarmen Sportarten auf. Empirische Studien, welche den Zeitpunkt des Trainingseinstiegs in die Sportart und die Trainingsgestaltung analysierten, haben übereinstimmend festgestellt, dass neben einem vielseitigen Grundlagentraining ein frühzeitiger Trainingseinstieg nötig ist, um spätere Erfolge im Leistungssport zu erzielen (Law, Cote & Ericsson, 2008; Zibung & Conzelmann, 2012; Forsman, Blomqvist, Davids, Konttinen & Liukkonen, 2016; Hohmann & Pietzonka, 2017). Die Grundausbildung sollte daher frühzeitig beginnen und allgemeine sportartunspezifische Trainingsinhalte berücksichtigen.
Die großen Leistungsrückstände im Jugend- und Juniorenbereich sind neben den koordinativ-technischen Defiziten Hauptursache für die hohen Drop-out-Quoten im Juniorenalter. In dieser Etappe verliert der Spitzensport die meisten Sportler und Sportlerinnen. Erfolgsaussichten auf internationale Erfolge im Erwachsenenalter sind ohne international führende oder zumindest anschlussfähige Juniorenleistungen eher unwahrscheinlich. In Sportarten, bei denen deutsche Sportler die Weltspitze mitbestimmen, (z. B. Fußball, Handball, Tischtennis, Kanurenn- und Skirennsport, Kunstturnen, Wasserspringen etc.) liegt das Trainingseinstiegsalter bei vier bis acht Jahren (Hohmann, Singh & Voigt, 2017).
Bedeutung der Vielseitigkeit im Nachwuchstraining
Zu Beginn dieses Abschnittes werden die Begriffe allgemeines, spezielles und spezifisches Training sowie die Vielseitigkeit definiert und voneinander abgegrenzt. Trainingsübungen, welche sich von der Belastungs- und Bewegungsstruktur der Spezialsportart unterscheiden, werden dem allgemeinen Training zugeordnet. Diese dienen zur Sicherung der Belastbarkeit, zur Entwicklung von grundlegenden Leistungsvoraussetzungen und werden zur Regeneration eingesetzt. Das spezielle Training in einer Sportart dient der Entwicklung und Vervollkommnung spezieller Leistungsvoraussetzungen. Die Strukturen der Spezialübungen ähneln den Wettkampfübungen, unterscheiden sich aber teilweise in der Belastungscharakteristik. Das Training der Wettkampfübungen ist dem sportartspezifischen Training zugeordnet. Für die akzentuelle Ausbildung einzelner Leistungsvoraussetzungen kann sich die Belastungsstruktur im Training im Vergleich zum Wettkampf unterscheiden (erleichterte oder erschwerte Bedingungen). Das Prinzip der Vielseitigkeit beinhaltet verschiedene Ausbildungsstrategien. Die allgemeine Vielseitigkeit umfasst die Variation von unterschiedlichen Trainingsmitteln und -methoden, kleinen Spielen und allgemein-athletischen Übungen. Das Trainieren in mehreren Sportarten wird mit den englischen Begriffen „diversification“ bzw. „sampling“ beschrieben. Bei Sportarten mit einer hohen Anforderungsvielfalt (z. B. Kampf- und Spielsportarten) kann die Vielseitigkeit auch innerhalb der Spezialsportart angewendet werden. Im langfristigen Leistungsaufbau schließen sich die Vielseitigkeit und die Spezialisierung nicht aus (Fudel & Hamann, 2018).
Für ein langfristig leistungsorientiertes und erfolgreiches Training reichen die Einstiegsleistungen der Kinder und Jugendlichen beim Eintritt in den Sportverein nicht mehr aus. Die Herausforderung der Vereine besteht in der nachträglichen Ausbildung grundlegender Bewegungsformen durch ein allgemein-vielseitiges Training, um Spitzenleistungen zu entwickeln. Für das Erreichen von Höchstleistungen sind hohe sportartspezifische Trainingsumfänge ebenfalls nötig. Im langfristigen Leistungsaufbau besteht die Schwierigkeit in der Vereinbarung der scheinbar gegensätzlichen Anforderungen. Im Nachwuchsbereich müssen zusätzlich die Aspekte der Belastbarkeit, Persönlichkeitsentwicklung und Motivation beachtet und in die Planung mit einbezogen werden (Fudel & Hamann, 2018). Im Developmental Model of Sports Participation stellen Cote, Baker und Abernethy (2007) die Ausbildungswege zwischen Spezialisierung und Vielseitigkeit gegenüber. In der Abbildung rechts oben sind die Konzepte von frühzeitiger Spezialisierung und Vielseitigkeit gegenübergestellt.
Beide Ausbildungswege sind eng an die Aktivitätstypen „deliberate play“ (spielerisches Sporttreiben) und „deliberate practice“ (leistungsorientierte Zielstellung) gebunden. Befürworter der „deliberate practice“ berufen sich auf den Zusammenhang von Leistungsniveau und Übungszeit. Im mathematischen und musischen Bereich konnte ein solcher Zusammenhang hergestellt werden. Bereits ab der Kindheit ist das systematische und spezifische Üben wichtig, um das maximale Entwicklungspotenzial auszuschöpfen. Für Späteinsteiger sei ein früher Leistungsvorsprung nicht mehr aufzuholen (Ericsson, 2003). Die Argumente für eine Frühspezialisierung werden in erster Linie durch den Theorieansatz der begrenzten Anpassungsreserven sowie durch die Restriktionen (z. B. Höchstleistungsalter, Leistungsniveau) und koordinativen Erfordernisse begründet. Folgen einer frühen Spezialisierung sind u. a. ein erhöhtes Drop-Out-Risiko, Essstörungen, mangelnde Selbstständigkeit sowie Burnout (Malina, 2010). Entgegengesetzter Auffassung sind Côté, Baker und Abernethy (2003). Sie sehen eine Frühspezialisierung nicht als Voraussetzung für spätere Spitzenleistungen. Nach ihrer Auffassung reduziert ein sportartspezifisches, hochintensives Training die Erfolgsaussichten, da die jungen Athleten „verheizt“ werden und ein spezifisches Training schnell an Reizwirksamkeit verliert. Sie betonen, dass für Weltspitzenleistungen einseitiges Üben in der Spezialsportart nicht alles leisten und ausbilden kann. Im Nachwuchsbereich kann ein ganzjährig angewendetes allgemeines Krafttraining die sportartspezifische Leistungsfähigkeit sowie die Belastbarkeit steigern, ohne die Anwendung spezifischer Trainingsinhalte (Lloyd & Oliver, 2012). Vielseitig ausgebildete Sportler sind im Anschluss- und Hochleistungstraining in der Lage, bessere Leistungssteigerungen zu erzielen.
Die Vielseitigkeit begründet sich vor allem durch pädagogische, trainingsmethodische und entwicklungstheoretische Argumente. Die Vorteile der Vielseitigkeit aus pädagogischer Sicht sind die altersgemäße und unspezifische Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf die unterschiedlichen Anforderungen des Lebens. Aus entwicklungsmethodischer Sicht ist die Vielseitigkeit im Nachwuchsbereich wichtig, aufgrund der Plastizität von Reifungsprozessen. Außerdem können Dysbalancen und Abnutzungserscheinungen durch die Vielseitigkeit des Trainings vermieden werden. Die Begründung einer vielseitigen Ausbildung aus trainingsmethodischer Sicht liegt in der Erhöhung der Entwicklungsgeschwindigkeit sowie der Steigerung der psychophysischen Belastbarkeit (Hohmann, Singh & Voigt, 2007). Eine vielseitige und sportartübergreifende Ausbildung im Kindesalter wird als „Diversifizierung“ bezeichnet. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine frühe Spezialisierung nicht notwendigerweise eine unabdingbare Voraussetzung für spätere Höchstleistungen darstellt (Leite, Baker & Sampaio, 2009; Hayman et al., 2011). Im Developmental of Sports Participation Modell von Cote, Baker und Abernethy (2007) wird ersichtlich, dass erfolgreiche Sportler bereits Erfahrungen in weiteren Sportarten gesammelt haben (Sammeljahre), bevor sie sich auf eine Zielsportart spezialisieren. In den „Sammeljahren“ verbringen die Sportler überdurchschnittlich viel Zeit mit sportlichen Aktivitäten außerhalb von Organisationen (z. B. Street Games, Straßenfußball). In einigen Sportarten besteht sogar ein negativer Zusammenhang zwischen späteren Leistungen und Frühspezialisierung. Zu beachten ist allerdings, dass erfolgreiche Sportler trotz eines geringeren Trainingspensums innerhalb der Zielsportart eine deutlich größere Trainingsstundenanzahl in unterschiedlichen Sportarten absolvieren (Güllich & Emrich, 2014). Vor allem gilt dies für Kraft-, Ausdauer- und Spielsport. Durch die Anforderungen und Reize in den verschiedenen Sportarten erfolgt eine bessere Vernetzung und Reifung des Gehirns (Schnabel, Harre & Krug, 2011). Nach Hoffmann und Pfützner (2013) liegt der Vorteil eines vielseitigen Trainings in der komplexen Entwicklung sportartgerichteter Fähig- und Fertigkeiten sowie der Nutzung von Übertragungseffekten (physisch-konditionell, motorisch, taktisch-konzeptionell und kognitiv-perzeptuell). Die Frage bezüglich der Übertragung des Modells auf alle Sportarten bleibt jedoch offen. Um im Spitzensport erfolgreich zu sein, reicht ein vielseitiges Training alleine nicht aus. Auch hier ist die konkrete Umsetzung der Vielseitigkeit von großer Bedeutung. In den frühen Trainingsjahren kann eine allgemein-vielseitige Ausbildung durchaus als motorisches Fundament eine wichtige Rolle spielen. Hierbei ist jedoch die Transferierbarkeit der gewünschten Anpassungen zu beachten. In der Abbildung rechts oben ist das pädagogische Developmental Model of Sports Participation von Côté, Baker & Abernethy (2007) abgebildet.
Entwicklung der Talentforschung und des Talentbegriffs
Ziel der Beschäftigung mit der Talentproblematik ist die rechtzeitige Findung und Förderung von Menschen mit außergewöhnlichen Fähig- und Fertigkeiten auf einem bestimmten Gebiet. Durch eine optimale Förderung sollen sie zu Hoch- oder Höchstleistungen gelangen. Nicht nur in der Spitzensportförderung ist die Talentproblematik eines der wichtigsten Themen. Sowohl in der Mathematik, der Musik als auch in den Naturwissenschaften spielt die Talentproblematik in Bezug auf das Erkennen und die Förderung von hochbegabten Kindern und Jugendlichen eine entscheidende Rolle.
Seit Beginn der 70er Jahre beschäftigt sich die sportwissenschaftliche Forschung mit dem Problem des sportlichen Talents. In dieser Zeit gab es verhältnismäßig viele interessierte Kinder und Jugendliche und eine geringe Anzahl von leistungssportlichen Disziplinen. Dieses Verhältnis hat sich in der Zwischenzeit stark verändert. Die Zahl der leistungssportlich orientierten Vereine und Verbände ist deutlich gestiegen und wird durch Freizeitsportarten sowie durch Funsportarten mit einem vielfältigen Angebot ergänzt. Die hohe Konkurrenz zwischen den Sportarten wird außerdem durch die verringerte Anzahl an sportinteressierten Kindern und Jugendlichen verstärkt. Die praxisorientierte Talentforschung hat aufgrund des Nachwuchsmangels in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Die Grundpfeiler der leistungssportorientierten Nachwuchsförderung stellen die Instanzen Talentsuche, Talentauswahl und Talentförderung dar. Die Talentsuche umfasst Maßnahmen, die das Ziel haben, eine große Anzahl an Talenten zu finden und diese an das spitzensportorientierte Training heranzuführen. Das Ziel der Talentauswahl sind Maßnahmen zur Identifikation von Sportlern, welche besonders für ein spitzensportorientiertes Training auf der nächst höheren Stufe geeignet sind. Bei der Talentauswahl kommen sowohl die Talentdiagnostik als auch die Talentprognose zur Anwendung. Unter der Talentdiagnostik versteht man die Durchführung von standardisierten Tests zur Festlegung des Ausprägungsgrades von Merkmalen, welche in der spezifischen Sportart als talentrelevant gelten. Bei der Talentprognose werden begründete Vorhersagen über individuell erreichbare, höchstmögliche Erfolge in der Sportart oder Disziplin gestellt. Die Talentförderung umfasst Trainings- und Betreuungsmaßnahmen für eine optimale sportliche Leistungsentwicklung von jungen und talentierten Sportlern (Hohmann & Carl, 2002). In der Abbildung rechts oben sind die talentbezogenen Instanzen einer wissenschaftlich begleiteten Nachwuchsförderung im Sport abgebildet.
Aus ökonomischen Gründen besteht das Ziel des Deutschen Sportbundes und seiner Unterorganisationen in einer frühzeitigen Talentfindung sowie einer langjährigen Förderung der talentierten Sportler in den jeweiligen Sportarten und Disziplinen. Für das Erreichen sportlicher Höchstleistungen ist eine systematische und langfristige Vorbereitung notwendig. Diese umfasst je nach Sportart sechs bis zwölf Jahre. Die Auswahl der Sporttalente muss deshalb frühzeitig begonnen werden, um die optimale Leistungsfähigkeit zum richtigen Zeitpunkt zu erreichen. Je nach Sportart haben verschiedene leistungsbestimmende Faktoren Einfluss auf das sportliche Talent. Bei der Talentsuche müssen u. a. die anthropometrischen Voraussetzungen (z. B. Körpergröße, Körpergewicht, Körperproportionen), physischen Merkmale (z. B. Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer), technomotorischen Voraussetzungen (z. B. Raum-, Distanz- und Tempogefühl, Gleichgewichtsfähigkeit,), kognitive Fähigkeiten (z. B. Konzentrationsfähigkeit, taktisches Vermögen), individuelle psychosoziale Faktoren (z. B. Rollenübernahme, Fähigkeit sich unterordnen zu können), affektive Faktoren (z. B. psychische Stabilität, Stressbewältigungsvermögen), die Lernfähigkeit und Leistungsbereitschaft sowie das soziale Umfeld (z. B. Familie, Freunde) beachtet werden. Nach Weineck (2006) sind die wichtigsten Faktoren auf dem Weg zum Spitzensportler ein konsequentes und effizientes Training, eine gewisse Sturheit, der unbedingte Wille zu gewinnen, eine starke Zielorientierung sowie das vorhandene sportliche Talent (Weineck, 2010). Das aktuelle Problem der Talentforschung besteht in der Entwicklung von zuverlässigen und aussagekräftigen Verfahren, welche motorisch und sportlich begabte Kinder und Jugendliche mit einem entsprechenden Entwicklungspotenzial identifizieren. In der Literatur finden sich zahlreiche Definitionen von einem sportlichen Talent. In Anlehnung an Hohmann und Carl (2002) ist in der Tabelle der Talentbegriff hinsichtlich der Parameter „eng vs. weit“ und „statisch vs. dynamisch“ zusammengefasst.
Die Athletikschule des BVDG
Die Athletikschule des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber gibt Orientierungen für Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche und soll diese langfristig zum Sporttreiben animieren. Entsprechend des Alters der Schulkinder unterteilt man die Athletikschule in drei Bereiche: Athletik Minis, Athletik Kids und Athletik Teens. Die „Athletikschule 1“ bietet Bewegungsangebote für Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren. Im Anschluss daran folgt die „Athletikschule 2“ für 10- bis 13-Jährige sowie die „Athletikschule 3“ für 14- bis 15-Jährige.
Der Einstieg in die Sportart Gewichtheben erfolgt durch die „Athletikschule 1“. Hier sollen die Kinder im Alter zwischen sechs und neun Jahren durch lustige und attraktive Angebote für sportliche Aktivitäten begeistert werden. Ziel der „Athletikschule 1“ ist die Gewinnung von sportbegeisterten Kindern. Die ganzheitliche Entwicklung wird durch vielfältige Bewegungsangebote gefördert. Entsprechend dem ganzheitlichen motorischen Entwicklungsmodell von Lloyd et al. (2015), sind in der pre-adoleszenten Phase die Kraft, Schnellkraft, Gewandtheit, Beweglichkeit sowie die elementaren Bewegungsfertigkeiten besonders gut zu entwickeln. In der „Athletikschule 1“ erfolgt die allgemeine Grundausbildung der Kinder. Das Training ist dabei wenig strukturiert und soll Spaß und Freude bereiten. Das Bewegungsangebot sollte abwechslungsreich gestaltet werden und in jeder Trainingsstunde wird etwas Neues erlernt. Neben einem vielfältigen Angebot an Trainingsübungen aus verschiedenen Sportarten erfolgt der Trainingseinstieg ins Gewichtheben. Bereits im Kindesalter zwischen sieben und zehn Jahren (allgemeine Grundausbildung) muss die Bewegungstechnik im Gewichtheben erlernt werden. Dabei erfolgt in der „Athletikschule 1“ die Erlernung der Techniken im Reißen, Umsetzen und Ausstoßen. Zunächst erfolgt die Bewegungsausführung mit einem Besenstiel oder einer Technikhantel (3 kg). Ziel ist die sichere und korrekte Bewegungsausführung entsprechend den Technikleitbildern. In diesem Altersbereich ist ein lastorientiertes Training mit speziellen Trainingsmitteln nicht notwendig und führt zu keinen relevanten Leistungssteigerungen (Sandau & Kurch, 2019). In der „Athletikschule 1“ werden Fertigkeiten (Skills) aus verschiedenen Sportarten (z. B. Turnen, Leichtathletik, Kampfsport, Tennis, Gewichtheben) erlernt und sorgen für ein abwechslungsreiches und vielseitiges Sportangebot.
In der „Athletikschule 2“ erfolgen Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche im Altersbereich von 10 bis 13 Jahren. Hier handelt es sich um einen trainingsgünstigen Zeitraum, der bereits mit dem Eintritt in das frühe Schulkindalter beginnt (Weineck, 2010). In der „Athletikschule 2“ stehen der Spaß und die Begeisterung für die Sportart Gewichtheben im Vordergrund. In dem Altersbereich zwischen 10 und 13 Jahren findet die Talentsichtung im Gewichtheben statt. Mithilfe des Athletikschule Tests des BVDG erfolgt eine erste Sichtung bzgl. konditioneller und koordinativer Fähigkeiten und motorischer Fertigkeiten im Kindes- und Jugendalter. Im nächsten Kapitel wird der Athletikschule Tests ausführlich beschrieben. Ausgehend vom Entwicklungsmodell von Lloyd et al. (2015) sind in diesem Altersbereich (10-13 Jahre) die Kraft, Schnellkraft, Gewandtheit und sportartspezifische Fertigkeiten besonders gut zu entwickeln. In Anlehnung an die Entwicklungsetappen im Gewichtheben erfolgt in der „Athletikschule 2“ die spezielle Grundausbildung der Kinder und Jugendlichen. Mit der Entwicklung und dem Lernfortschritt der Schüler ändert sich das Trainingsmotto. Aus „Spiel, Spaß und Vielseitigkeit“ wird ein spaßbetontes Training. Die Sportler vertiefen die Grundlagen in den verschiedenen Sportarten und werden schrittweise an ein strukturiertes Training herangeführt. Im Vordergrund stehen weiterhin der Spaß und die Abwechslung, jedoch mit anspruchsvolleren koordinativen und konditionellen Trainingsinhalten. Die Skills-Übungen werden komplexer und im Gewichtheben steht die Erlernung der Trainings- und Wettkampfübungen im Vordergrund. In der Grundausbildung im Gewichtheben erfolgt der Beginn des Technikerwerbstrainings. In der „Athletikschule 2“ können aufgrund der Zunahme der Fähigkeit zur Selbstreflexion Übungen zur Persönlichkeitsentwicklung angewendet werden. Geeignet hierfür sind Bewegungsaufgaben, welche nur im Team zu lösen sind. In der Handreichung „Persönlichkeits- & Teamentwicklung“ von der Deutschen Gewichtheber Jugend erfolgen Übungsvorschläge zur Persönlichkeits- und Teamentwicklung. In der „Athletikschule“ sollen die Persönlichkeits- und Teamentwicklungsaufgaben zunächst spielerisch und kindgerecht eingeführt werden, um sie in der „Athletikschule 3“ zu vertiefen.
In der „Athletikschule 3“ erfolgt eine Vertiefung und Erweiterung der Übungsangebote aus der Athletikschule 1 und 2. Beweglichkeitsübungen, Schnelligkeitsübungen sowie Mobilisierungs- und Koordinationsübungen werden erweitert und gefestigt. Außerdem lernen die Jugendlichen neue Sportarten kennen (Fun- und Trendsportarten) und erwerben neue Sportkenntnisse (Sportregeln). Individuelle Trainingsformen im Gewichtheben kommen hinzu. Im Altersbereich der „Athletikschule 3“ (14-15 Jahre) befinden sich die Jugendlichen in einem weniger günstigen Trainingszeitraum. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht belastet werden dürfen. Die Belastungsgestaltung sollte abwechslungsreich gestaltet werden, um Überbelastungen zu vermeiden. Das Training sollte dabei strukturiert geplant und durchgeführt werden. Zu beachten sind neben der Belastung auch die ausreichenden Erholungszeiten. In der „Athletikschule 3“ stehen die Begeisterung und Motivation für die Sportart Gewichtheben im Vordergrund. In dem Altersbereich zwischen 14 und 15 Jahren findet die erste komplexe Leistungsdiagnostik auf Bundesebene statt. Ziel ist es, den Ist-Zustand des Leistungsniveaus der Sportlerinnen und Sportler zu analysieren. Damit trägt die KLD zur Talententwicklung im Gewichtheben bei. Ausgehend vom Entwicklungsmodell von Lloyd et al. (2015) sind in der Pubertät die Kraft, Schnellkraft, Schnelligkeit und Gewandtheit besonders gut zu entwickeln. Aufgrund des Wachstumsschubs (PHV) in der pubertären Phase müssen die Trainingsinhalte individuell geplant und die Belastungsgestaltung ggf. reduziert werden. Die Jugendlichen befinden sich in der „Athletikschule 3“ im Grundlagentraining des Gewichthebens. Zur Anwendung kommen Persönlichkeits- und Teamentwicklungsaufgaben, welche mit zunehmendem Alter vertieft werden. Neben Spielformen kommen verstärkt spezifische Maximal- und Schnellkraftübungen zur Anwendung. Im Gewichtheben liegt der Schwerpunkt auf der Stabilisierung und Festigung der Trainings- und Wettkampfübungen. Unter Berücksichtigung der sportlichen Technik können die Lasten erhöht werden. Im Vordergrund steht dabei die Bewegungstechnik, welche sich am Leitbild orientiert. Die Übungsauswahl der speziellen Übungen zur Maximal- und Schnellkraftsteigerung erfolgt anhand des biologischen Alters (Oehler & Patzke, 2019).
Der Athletikschule Test - Ausgangssituation
Bereits im Kindesalter finden sich in unserer heutigen Gesellschaft weit verbreitete Formen körperlicher Unterforderung infolge eines Bewegungsmangels. Die körperliche Aktivität der Kinder und Jugendlichen wird aufgrund der technischen Entwicklung und dem Modernisierungswandel der heutigen Gesellschaft immer mehr aus dem Alltag verdrängt. Durch den obligatorischen Nachmittagsunterricht sowie durch das Angebot der Gesamtschulen wird die Bewegungszeit der Schülerinnen und Schüler stark eingeschränkt. Folgen dieses bewegungsarmen Lebens sind Erkrankungen wie Herz-Kreislauf Beschwerden, Haltungsschäden, Muskelatrophien und Adipositas. Je nach Statistik gelten 50 bis 65 Prozent aller Schülerinnen und Schüler als haltungsschwach (Steinmann, 1988; Rotkopf, 2005). Diese Haltungsschwäche führt zu mangelnden Kraftfähigkeiten und äußern sich darin, dass Kinder nicht mehr in der Lage sind, selbst einfache Übungen im Sportunterricht bzw. im Sportverein durchzuführen. Dieser Aspekt verdeutlicht die Notwendigkeit eines Krafttrainings im Kindes- und Jugendalter. Die Übergewichtigkeit der Kinder stellt ein weiteres Problem in der heutigen Gesellschaft dar. Sowohl die Anzahl der Übergewichtigen als auch die Anzahl der an Adipositas erkrankten Kinder und Jugendlichen nahm seit Mitte der 1970er Jahre zu. Die Ergebnisse stammen aus den Kinder- und Jugendgesundheitsumfragen (KIGGS), welche vom Robert-Koch-Institut zwischen 2003 bis 2006 (Welle 1) und zwischen 2014 bis 2017 (Welle 2) durchgeführt wurden. Im Alter zwischen drei und siebzehn Jahren leiden 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland an Übergewicht. 6,3 Prozent sind nach den Ergebnissen der KIGGS-Studie sogar adipös. Seit Beginn der 2000er Jahre zeigt sich in vielen Ländern mit einem hohen Einkommensniveau, u. a. in Deutschland, dass die Anzahl der übergewichtigen bzw. an Adipositas erkrankten Kinder und Jugendlichen nicht weiter ansteigt bzw. der Trend sich verlangsamt (Schienkiewitz et al., 2018). Die aktuelle Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass geeignete Spielräume, in denen Kinder klettern, rennen, krabbeln und springen können, nur noch minderheitlich existieren. Durch Indoorspielplätze und künstliche Welten (z. B. Kletterparks) werden Orte geschaffen, wo die Kinder und Jugendlichen die genannten Fertigkeiten mit Spaß und Spiel und mit eigener Initiative und Kreativität ausüben können. Aufgrund von gesellschaftlichen Unterschieden können nicht alle Familien diese Angebote wahrnehmen. Auch im Gewichtheben sind die Sportvereine der Problematik des Bewegungsmangels von Kindern und Jugendlichen enorm ausgesetzt. Neben dem Rückgang der Mitgliederzahlen im Nachwuchsbereich rückt die Entwicklung der Talentsichtung in den Hintergrund, da zunächst sportmotorische Grundeigenschaften mit enormen Anstrengungen vermittelt werden müssen. Auch im Nachwuchsleistungssportkonzept 2020 wird die Problematik der Talentgewinnung und -sichtung aufgegriffen. Neben der fehlenden Zeit im Sportunterricht können Kinder und Jugendliche nicht altersgerecht ausgebildet werden, da es an interessierten Trainern, Übungsleitern, Erziehern und Lehrern fehlt. In den nächsten Jahren müssen sportbegeisterte Lehrer, Übungsleiter und Trainer ausgebildet werden, um geeignete Sportangebote in der Schule bzw. im Verein anbieten zu können. Die allgemein athletische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen muss dabei im Vordergrund stehen, um den Abwärtstrend der motorischen Leistungs- und Kraftfähigkeit aufzuhalten (Bundesverband Deutscher Gewichtheber, 2016).
Theoretische Grundlagen
Zu Beginn dieses Abschnittes wird zunächst auf die Definition von motorischen Fähigkeiten eingegangen. Bös (2001) beschreibt motorische Fähigkeiten als die „Gesamtheit aller Strukturen und Funktionen, die für den Erwerb und das Zustandekommen von Bewegungshandlungen verantwortlich sind“. Sie können bewusst gesteuert oder auch ohne eine bewusste Steuerung ablaufen. Grundsätzlich kann man motorische Fähigkeiten in zwei Bereiche unterteilen: zum einen in die konditionellen Fähigkeiten, die nach Weineck (2002) energetisch bedingt sind und die Eigenschaften der Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und der Beweglichkeit beinhalten und zum anderen in die koordinativen Fähigkeiten, welche nach Meinel und Schnabel (1998) als „relativ verfestigte und generalisierende Besonderheiten des Verlaufs der Steuer- und Regelprozesse der Bewegungstätigkeit“ verstanden werden. Aufgrund von empirischen Untersuchungen postuliert Blume (1978) in Anlehnung an Meinel und Schnabel sieben koordinative Fähigkeiten. Diese sind die Gleichgewichts-, Rhythmisierungs-, Umstellungs-, Reaktions-, Kopplungs-, Orientierungs- und Differenzierungsfähigkeit. Die Bewegungstätigkeiten und somit die motorische Leistungsfähigkeit bei sportlichen Aufgaben wird demnach durch individuelle Voraussetzungen in den konditionellen und koordinativen Fähigkeiten determiniert. Der Begriff Fertigkeit grenzt sich sofern von den Fähigkeiten ab, als dass die Fähigkeiten Voraussetzung und Bedingung für die Realisierung von Fertigkeiten sind. Besonders die motorischen Fertigkeiten müssen in einem längeren Lern- und Übungsprozess erworben werden. Dabei handelt es sich bei den Bewegungsfertigkeiten um koordinative Leistungsvoraussetzungen zur motorischen Realisierung einer Handlung ohne bewusste Steuerung (Meinel & Schnabel, 2007). In Anlehnung an Bös und Mechling (1983) wird die Motorik wie folgt definiert: „Unter Motorik wird die Gesamtheit aller latenten Steuerungs- und Funktionsprozesse verstanden, der Haltung und Bewegung zugrunde liegen.“ Ohne die Motorik wären unerlässliche Grundlagen und Voraussetzungen für eine vollwertige geistige Entwicklung und Leistungsfähigkeit nicht gegeben (Singer & Bös, 1994). In der folgenden Abbildung erfolgt die Differenzierung der motorischen Fähigkeiten nach Bös (2006). Im folgenden Abschnitt erfolgt eine kurze Übersicht über die motorische Entwicklung von Grundschulkindern.
Motorische Entwicklung von Grundschulkindern
Im Alter von sieben bis elf Jahren ist es schwierig, über typische Entwicklungsverläufe der Motorik zu sprechen, da besonders hier die interindividuellen Unterschiede immer größer werden. Eine hohe physische Leistungsfähigkeit, ein hoher Leistungszuwachs in den motorischen Fähigkeiten, die Steigerung der motorischen Lernfähigkeit, eine deutliche Verbesserung in den motorischen Fähigkeiten und der Aufbau eines sportbezogenen Bewegungsrepertoires sind charakteristisch für das Grundschulalter. Die individuellen Entwicklungsverläufe in den einzelnen Dimensionen sind keineswegs linear und stetig, sondern finden in Schüben statt (Wirszing, 2015). Die Variabilitäten der Entwicklung werden durch personale, nicht-normative, gesellschaftliche und kulturwandelbezogene Einflussfaktoren bestimmt. Im Hinblick auf die physischen Voraussetzungen gibt es Unterschiede in der motorischen Entwicklung, die vor allem das Alter und das Geschlecht betreffen. Grundschulkinder befinden sich im Alter von sechs bis elf Jahren und somit im frühen und mittleren Kindesalter. Charakteristisch für diesen Bereich der motorischen Ontogenese ist der rasche Fortschritt in der motorischen Leistungsfähigkeit. Dieser Abschnitt wird als Phase der besten motorischen Lernfähigkeit beschrieben (Hartmann, 1997). Im frühen Schulkindalter ist das Bewegungshandeln durch eine ausgeprägte Lebendigkeit und Mobilität gekennzeichnet, wobei der Drang nach Erkundung und Erprobung sowie nach Bewegung und Sport typisch sind (Bös & Ulmer, 2003). Oftmals fehlt es in diesem Altersbereich an der nötigen Aufmerksamkeit bzw. Konzentrationsfähigkeit zur Lösung einer bestimmten Aufgabe (Meinel & Schnabel, 2006). Mit zunehmendem Alter vollzieht sich jedoch ein Wandel und die Kinder sprechen auf motorische Leistungsanforderungen an und sind im Leistungsstreben nachhaltiger und ausgeglichener (Berk, 2005e). Bis zum 8. Lebensjahr haben sie gelernt, Bewegungsaufgaben zielgerichtet auszuführen, was sie dazu befähigt, motorische Fertigkeiten zu erlernen. Bei diesem Altersbereich bis zum Eintreten in die Pubertät spricht man von einem „trainingsgünstigen Zeitraum“ (Willimczik, 2009). Sowohl die Bereitschaft zu lernen als auch die konditionellen und koordinativen Voraussetzungen für das Erlernen sportmotorischer Fertigkeiten sind nun gegeben. Im Grundschulalter äußern sich Geschlechtsunterschiede noch nicht gravierend, aber individuelle Leistungsunterschiede sind im erheblichen Maße nachweisbar. Mit steigendem Alter nehmen die Bewegungsstabilität sowie die zielgerichtete Bewegungssteuerung zu (Scheid, 1994). Im Grundschulalter verläuft die Entwicklung der Kraftfähigkeit noch relativ langsam und geschlechtsunspezifisch (Bös, Opper & Woll, 2002a), während die Ausdauer- und Schnelligkeitsfähigkeit etwa bis zum 10. Lebensjahr stetig zunimmt. Alle motorischen Fähigkeiten sind im Schulkindalter bereits trainierbar. Im frühen Schulkindalter ist eine erhebliche Zuwachsrate der koordinativen Leistungsfähigkeit festzustellen (Ahnert & Schneider, 2007). Durch ein zielgerichtetes koordinatives Training kann die Entwicklung der koordinativen Fähigkeiten wesentlich erhöht werden (Meinel & Schnabel, 2006). Eine gut ausgeprägte Bewegungskoordination bildet die Basis für eine hohe motorische Lernfähigkeit. Diese gilt als zentraler Indikator für motorische Begabungen und sportliches Talent. Roth und Roth (2009) zeigen in der Abbildung die Koordinationsentwicklung vom Vorschulalter bis zum späten Erwachsenalter. Vom Vorschul- bis zum späten Kindesalter erfolgt die Phase des weitgehend linearen Anstiegs des koordinativen Fähigkeitsniveaus.
Neben der Entwicklung der motorischen Fähigkeiten kann man auch fertigkeitsbezogene Veränderungen im frühen Schulkindalter beobachten. Es entwickeln sich sportliche Bewegungsformen wie Laufen, Springen und Werfen weiter. Somit hat die Zeit des Grundschulalters eine besondere Bedeutung hinsichtlich der motorischen Entwicklung von Kindern. Um die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen erfassen zu können, gibt es eine Reihe von Testverfahren. Ein sportmotorisches Testverfahren ist nach Roth wie folgt definiert: „Sportmotorische Tests sind Bewegungsaufgaben, bei denen Probanden aufgefordert werden, das im Sinne der Aufgabenstellung bestmögliche Ergebnis zu erzielen“. Das Ziel besteht darin, aus den erfassten Leistungsdaten den individuellen Ausprägungsgrad der zugrunde liegenden motorischen Fähig- und Fertigkeiten zu bestimmen (Roth & Willimczik, 1999). Mit einem motorischen Test ist eine Momentaufnahme der motorischen Leistungsfähigkeit des einzelnen Kindes oder einer ganzen Gruppe möglich. Außerdem können sportmotorische Tests Informationen zur Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit aufzeigen. Somit können gezielt motorische Stärken und Schwächen erkannt werden und es können frühzeitig individuell passende Fördermöglichkeiten für die Kinder angeboten werden. Seit 1960 werden Motorik-Tests im wörtlichen Sinne erforscht. Stübler (1966) hat bereits in der Deutschen Demokratischen Republik eine erste Sammlung motorischer Tests veröffentlicht. Die Sportministerkonferenz hat im Jahr 2006 bzw. 2007 einen Ad-hoc-Ausschuss mit der Aufgabe, einen „Motorischen Test für Kinder und Jugendliche“ für den Einsatz in der Schule zu entwickeln, eingerichtet. Das Ergebnis des Ad-hoc-Ausschusses, der „Deutsche Motorik-Test“, ist im Internet veröffentlicht und für jedermann samt allen Auswertungsmaterialien abrufbar (www.deutscher-motorik-test.de). Nach Bös (2001) gibt es über 700 motorische Einzeltests und 50 publizierte Testbatterien. Eine weitere Auflistung motorischer Tests liefern Kretschmer und Wirszing (2007). Sie haben die Daten von elf Untersuchungen zusammengestellt, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, die die motorische Leistungsentwicklung im Grundschulalter betreffen (Kretschmer & Wirszing, 2007). Im folgenden Kapitel wird der Athletikschule Test des Bundesverband Deutscher Gewichtheber näher beschrieben.
Das Konzept des Athletikschule Tests
Der Athletikschule Test des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber wurde im Jahr 2015 durch Jochen Stüber entwickelt. Ziel war es, einen sportmotorischen Test zu entwickeln, welcher die konditionellen und koordinativen Fähigkeiten und die motorischen Fertigkeiten im Kindes- und Jugendalter bezüglich der Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination überprüft. Der Athletikschule Test beinhaltet einen Parcours und dient zur sportlichen Eignungserkennung im Gewichtheben. Dabei dient der sportmotorische Test als Vorstufe für eine sportartspezifische Eignung. Das Konzept ermöglicht auf kommunaler Ebene eine Sichtung ab dem Grundschulalter und darüber hinaus.
Der Parcours beinhaltet acht unterschiedliche Bewegungsaufgaben und es können in relativ kurzer Zeit viele Kinder und Jugendliche ohne großen Aufwand getestet werden. Der Test ist sehr effektiv, bezüglich des Aufbaus unkompliziert, einfach strukturiert und standardisiert. Der Athletikschule Tests ist in einer normalen Schulsportanlage und mit wenigen Materialien (Stoppuhr, Maßband, Klebeband, 1 Weichbodenmatte, 5 kleine Matten, 1 Bank, 1 Barren, 2 Kastenteile, 3 kleine Kästen, 12 Hütchen und 1 Seil/Tau) durchführbar. Um den Aufbau zu erleichtern, ist der Parcours an die Größe eines Volleyballfeldes (18 Meter lang, 9 Meter breit) angepasst. Der Athletikparcours ist so angelegt, dass die Kinder und Jugendlichen unter zeitlicher Beobachtung acht Bewegungsaufgaben mit unterschiedlichen Informationsanforderungen (taktil, kinästhetisch, vestibulär, optisch, akustisch) und Druckbedingungen (Komplexitäts-, Situations-, Zeit-, Präzisions- und Belastungsdruck) schnell und genau durchlaufen. Ziel ist es, den Parcours fehlerfrei und so schnell wie möglich zu bewältigen. In Abbildung ist der Athletikparcours des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber abgebildet (Stüber, 2015).
Während des Parcours muss der Sportler acht Bewegungsaufgaben schnellstmöglich bewältigen. In der Startposition steht der Schüler oder die Schülerin beidbeinig auf der Weichbodenmatte und hält das Seil in beiden Händen. Dabei befindet sich die obere Hand auf Augenhöhe. Sobald der Sportler die erste Zugbewegung mit den Armen ausübt, beginnt die Zeit. Verboten ist es, von der Weichbodenmatte abzuspringen. Die erste Aufgabe besteht darin, das Seil so schnell wie möglich hochzuklettern (2,5 Meter; ab 14 Jahren 3,5 Meter) und anschließend wieder herunterzuspringen bzw. herunterzuklettern. Sollte ein Schüler die Aufgabe nicht bewältigen, wird auf die Endzeit eine Strafzeit von 10 Sekunden addiert. Der Slalomlauf bildet die zweite Aufgabe, bei der der Sportler bis zur Wendemarkierung im Slalom um die Hütchen laufen muss. Es folgt ein Hindernislauf, bei dem der Sportler drei Kastenteile abwechselnd kriechend und springend überwindet. Die vierte Bewegungsaufgabe bildet das vorwärts „Balancieren“ auf einer umgedrehten Bank. Verliert der Sportler das Gleichgewicht und verlässt die Bank, muss diese Aufgabe von vorn begonnen werden. Bei der Aufgabe fünf, dem „Roboter“, begibt sich der Schüler bzw. die Schülerin in den Barrenstütz. Mit beliebig vielen Armbewegungen muss sich der Sportler bis zum Ende des Barrens gestützt fortbewegen, ohne den Boden zu berühren. Vor bzw. nach dem Barrenstützfuß muss die erste und letzte Stützposition erfolgen. Bewältigt ein Teilnehmer diese Aufgabe nicht, so werden auf die Endzeit zehn Sekunden addiert. Anschließend läuft der Schüler um die Wendemarkierung und gelangt zu Aufgabe Nummer sechs, welche als „Speedy Gonzales“ bezeichnet wird. Es erfolgt ein Sprint über 18 Meter, bei dem auf halber Strecke um ein Hütchen gelaufen wird. Der Sportler rennt um die Wendemarkierung und springt über zwei kleine Kastenteile, welche im Abstand von vier Metern aufgestellt sind. Die Bewegungsaufgabe sieben wird als Hürdenlauf bezeichnet. Die letzte Parcoursaufgabe bilden „Froschsprünge“ über eine Distanz von vier Metern. Dabei ist die Anzahl der Sprünge nicht festgelegt. Gesprungen wird aus einem beidbeinigen Stand und die Arme befinden sich gestreckt über dem Kopf. Die Landung erfolgt ebenfalls beidbeinig, in der tiefstmöglichen Position, mit den Fersen am Boden. Im Anschluss daran sprintet der Sportler bis zur Ziellinie und die Zeit wird angehalten.
Um den Parcours schnellstmöglich durchlaufen zu können ist neben den motorischen Fähigkeiten eine gute Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen wichtig. Unter Wahrnehmung versteht man im Allgemeinen die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen. Dieser aktive Prozess begleitet sämtliche Handlungen, die für die geplante Bewegung von Bedeutung sind. Reize können durch sieben unterschiedliche Analysatoren wahrgenommen werden, wobei der Geschmacks- und Geruchssinn bei der Ausführung von motorischen Bewegungen keine Rolle spielen. Die Analysatoren für wichtige informationsaufnehmende Organe an Bewegungsausführung lassen sich in die Außenwahrnehmung und die Innenwahrnehmung aufteilen. Bei der Außenwahrnehmung spielen der optische, der akustische und der taktile Analysator eine entscheidende Rolle. Der kinästhetische und der vestibuläre Analysator sind für die Innenwahrnehmung und somit für die Schaffung von Bewegungsvorstellungen wichtig (Nagel & Sprecksels, 2010). Die Kinder müssen in der Lage sein, die Anforderungen, die der Parcours an sie stellt, aufzunehmen und daraufhin eine motorisch richtige Bewegungslösung zu finden. Die koordinativen Fähigkeiten im Athletikparcours werden unter verschiedenen Druckbedingungen durchgeführt, um die koordinativen Leistungen testen zu können. Neumaier und Mechling unterscheiden bereits seit 1995 fünf Druckbedingungen, welche auch im Athletikschule Test aufzufinden sind. Diese sind der Präzisionsdruck, der Zeitdruck, der Komplexitätsdruck, der Situationsdruck und der Belastungsdruck. Unter Komplexitätsdruck versteht man hohe Anforderungen hinsichtlich simultan und/oder sukzessiver Bewegungsteile sowie des Umfangs und der einzubeziehenden Muskelgruppe. Der bei den Kindern auftretende Situationsdruck entsteht durch variable und komplexe Umweltbedingungen. Der Belastungsdruck beschreibt den Druck, welchem der Organismus ausgesetzt ist, wenn er Bewegungen mit konditionellen Vorbelastungen oder unter zusätzlichen psychischen Anforderungen durchführen muss. In der Tabelle sind die Anforderungsbereiche des Athletikschule Tests zusammengefasst.
Bewegungsaufgabe | Informations-anforderung | Druckbedingung | motorische Anforderung/ Fähigkeit |
1. Kletteraffe | optisch | Komplexitätsdruck | Bewegungskopplung |
2. Slalomlauf | kinästhetisch | Komplexitätsdruck | zyklische Schnelligkeit |
3. Hindernislauf | optisch | Komplexitätsdruck | räumliche Orientierung |
4. Balancieren | vestibulär | Präzisionsdruck | Gleichgewichtsfähigkeit |
5. Roboter | kinästhetisch | Komplexitätsdruck | Bewegungskopplung |
6. Speedy Gonzales | optisch | Belastungsdruck | kinästhetische Differenzierung |
7. Hürdenlauf | kinästhetisch | Belastungsdruck | Rhythmisierungsfähigkeit |
8. Froschsprung | optisch | Komplexitätsdruck | Sprungkraft |
Zur Bewältigung von komplexen sportlichen Bewegungen benötigt man eine Vielzahl koordinativer und konditioneller Fähigkeiten und man darf diese nicht losgelöst voneinander betrachten. Die Fähigkeiten, welche in der Tabelle aufgeführt sind, werden primär zur Aufgabenbewältigung benötigt. Nach Nagel und Spreckels (2010) zählt die Gleichgewichts-fähigkeit zu einer Grundfähigkeit, da alle Bewegungen auf dieser Fähigkeit basieren. Durch die Zeitdauer des Tests (zwischen 35 bis 95 Sekunden) kommt es bei den letzten 3 Stationen zum Auftreten des Belastungsdrucks, da Aufgaben nun unter physischer Erschöpfung durchgeführt werden müssen. Für die Durchführungen des Athletikschule Tests wurden die Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität berücksichtigt. Der Athletikschule Test, welcher von Jochen Stüber entwickelt wurde, stützt sich auf Untersuchungen von Professor Klaus Roth und Professor Klaus Bös sowie auf den Hamburger Parcours.
Komplexe Leistungsdiagnostik im Gewichtheben
Neben dem Athletikschule Test findet als weiteres Mittel der Talentsichtung und -förderung seit 2018 eine einheitliche Bewertung der Kadersportler und -sportlerinnen statt. Diese komplexe Leistungsdiagnostik (KLD) ermöglicht eine objektive Talentsichtung im Gewichtheben. Ziel in den nächsten Jahren ist es, auf regionaler Ebene die Talentförderung und -sichtung zu optimieren. Für den langfristigen Leistungsaufbau sowie für die Erfolge bei internationalen Meisterschaften und olympischen Spielen sind die gezielte Talentsichtung und -förderung auf Bundesebene von großer Bedeutung (Bundesverband Deutscher Gewichtheber, 2016). Die komplexe sportartspezifische Leistungsdiagnostik im Gewichtheben beinhaltet eine mehrdimensionale Bewertung der Leistungsvoraussetzungen des Sportlers und integriert unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen (Biomechanik, Trainingswissenschaft, Sportmedizin). Ziele der KLD sind die Beurteilung des aktuellen Leistungszustands, die Erfassung der Anpassung leistungsrelevanter Funktionssysteme und die Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings im langfristigen Leistungsaufbau. Die Leistungsdiagnostik gibt Aufschluss über Talenteigenschaften und liefert sowohl dem Sportler als auch dem Trainer individuelle Trainings- und Handlungsempfehlungen zur Optimierung der Leistungsfähigkeit. Die Trainingssteuerung stützt sich wesentlich auf die komplexen sportartspezifischen Leistungsprüfverfahren. Im Januar 2018 wurde die KLD des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber erstmalig für alle Nachwuchsbundeskader durchgeführt. Diese Maßnahme dient als Meilenstein auf dem Weg zur Erkennung von talentierten Gewichthebern und ist ein erster wichtiger Schritt, um Sportlerinnen und Sportler noch wirksamer in ihrer Leistungsentwicklung zu unterstützen.
Die Anreise der Sportler erfolgt am Sonntagabend bis spätestens 18 Uhr am Olympiastützpunkt Heidelberg. Nach dem Abendessen erfolgt die offizielle Begrüßung der Kadersportler durch die Trainer und der Ablauf der KLD wird besprochen. Das Frühstück, das Mittag- und Abendessen finden jeweils am Olympiastützpunkt in Heidelberg statt. Am Montag und Dienstag werden die anthropometrischen Messungen und die sportmotorischen Tests durchgeführt. Nach dem Abendessen erfolgt eine kurze Theorieeinheit über sportrelevante Themen (z. B. Athletenvereinbarung, Anti-Doping-Belehrung). Am vierten Tag der komplexen Leistungsdiagnostik erfolgt ein gemeinsamer Ausflug (z. B. Ausflug zum Erlebnisbad). Am Abend haben die Sportlerinnen und Sportler Freizeit. Am Donnerstag Vor- und Nachmittag findet im Bundesleistungszentrum in Leimen die Technikanalyse im Gewichtheben statt. Abends haben die Sportler Freizeit und können die Sauna als Regenerationsmaßnahme benutzen. Am sechsten Tag der KLD finden am Vormittag individuelle Gespräche am Olympiastützpunkt in Heidelberg statt. Nach dem Mittagessen erfolgt die individuelle Abreise der Kadersportler (Vater et al., 2018).In der Abbildung ist der zeitliche Ablauf der komplexen Leistungsdiagnostik zusammengefasst.
Sportmotorische Tests und anthropometrische Messungen
Die sportmotorischen Tests werden gemeinsam mit den anthropometrischen Messungen jeweils am Montag und Dienstag durchgeführt. Die Leistungsdiagnostik findet am Olympiastützpunkt in Heidelberg statt. Abhängig vom Alter werden die Kadersportler in 2 Gruppen aufgeteilt (Gruppe 1: 14-16 Jahre; Gruppe 2: 17-21 Jahre). Insgesamt gibt es sechs Stationen, an denen die Kadersportler unterschiedliche Aufgaben aus den Bereichen der Schnellkraftfähigkeiten, der allgemeinen und speziellen Kraftfähigkeiten, der Koordination, der Beweglichkeit sowie der allgemeinen Athletik bewältigen müssen. Die Ergebnisse ermöglichen es, zusätzlich zur Kadernorm weitere Aussagen über die Talenteigenschaften der Sportler und Sportlerinnen zu treffen. In der Abbildung ist der Aufbauplan für die sportmotorischen Tests dargestellt.
An der Station 1 werden die Sprungkraftfähigkeiten der Kaderathleten durch den Squat-Jump, Counter-Movement-Jump und Drop-Jump ermittelt. Bei jedem Sprungkrafttest hat der Sportler drei Versuche. Der Squat-Jump dient zur Erfassung der reinen konzentrischen Sprungkraftfähigkeit. Er wird ohne Ausholbewegung aus der Ruhe ausgeführt und enthält nahezu keine koordinativen Anforderungen. Die Ausführung erfolgt aus der Hockstellung und die Arme werden an der Hüfte angelegt. Auch der Counter-Movement-Jump dient zur Ermittlung der konzentrischen Kraftfähigkeit der Sprungmuskulatur. Im Unterschied zum Squat-Jump ist bei dieser Sprungform eine Ausholbewegung nach unten erlaubt. Die Arme sind an der Hüfte angelegt und sollen nicht an der Ausholbewegung beteiligt sein. Die Ausholbewegung erlaubt es eine Vorspannung in der Muskulatur aufzubauen, die bereits im unteren Umkehrpunkt der Bewegung eine positive Kraft erzeugt, die größer als das eigene Körpergewicht ist (Prinzip der Anfangskraft). Sowohl die Ausholgeschwindigkeit als auch die Beugungstiefe beeinflussen die Sprunghöhe. Der Drop-Jump testet die Kraftfähigkeit und die reaktive Kraftfähigkeit der Sprungmuskulatur. Der Sprung erfolgt aus einer definierten Fallhöhe (ca. 40 cm). Während des Sprungs sind die Arme an der Hüfte angelegt und sind nicht aktiv an der Bewegung beteiligt. Der Sportler versucht nach der Landung die Bodenkontaktzeit möglichst gering zu halten und so hoch wie möglich zu springen. Dabei werden die Bodenkontaktdauer sowie die Flughöhe und -dauer bestimmt. An der Station 2 wird mithilfe des 30-Meter-Sprints die lineare Schnelligkeit getestet. Der Sportler startet selbstständig aus der Hochstartposition und durchläuft die Start-Ziel-Strecke von 30 Metern so schnell wie möglich. Beim Überqueren der Startlinie beginnt die elektronische Zeitnahme und stoppt beim Überlaufen der Ziellinie. Während des Sprints werden nach 5, 10 und 20 Metern zusätzlich Zwischenzeiten gestoppt, um eine Aussage über die Antrittsgeschwindigkeit treffen zu können. Jeder Sportler hat zwei Versuche und die schnellste Zeit wird gewertet. An der Station 3, dem Wurf, wird die Schnellkraftfähigkeit sowie die Oberkörperkraft getestet. Dafür kommen das Schocken und der Druckwurf zum Einsatz. Der Sportler hat jeweils drei Versuche und die maximale Weite wird ermittelt. Beim Schocken muss der Sportler einen 5 kg schweren Medizinball rückwärts über den Kopf werfen. Dabei erfolgt die Beschleunigung aus den Beinen und es erfolgt eine Ganzkörperstreckung mit gestreckten Armen. Der Druckwurf, welcher im Stehen durchgeführt wird, dient zur Feststellung der Oberkörperkraft und zur Testung der Schnellkraftfähigkeit. Auch hierfür kommt ein 5 kg schwerer Medizinball zum Einsatz und die maximale Weite wird gemessen. Die Auswertung erfolgt nach dem Alter und Geschlecht. Bei Station 4 wird die Oberkörperkraft mithilfe von Klimmzügen ermittelt. Dafür haben die Sportler einen Versuch und müssen in 30 Sekunden so viele Klimmzüge absolvieren wie möglich. An der Station 5 findet der Koordinationstest statt. Mithilfe des „Pedalo-Sensamove Balancetest “ werden die Körperbewegungen sensibel erfasst und es können Aussagen über die Körperstabilität, die Reaktionsverarbeitungszeit und mögliche Dysbalancen getroffen werden. Die Sportler stehen auf einem Wackelbrett, welches mit einem Laptop verbunden ist und müssen versuchen das Gleichgewicht zu halten. Im Koordinationstest 1, dem Balancetest, erhalten die Sportler eine visuelle Rückmeldung in Form eines Punktes auf dem Bildschirm. Dieser Punkt repräsentiert die Position des Brettes und gibt Auskunft darüber, wie die Athleten nach vorn, hinten, links oder rechts im Gleichgewicht stehen. Steht der Sportler im Gleichgewicht, befindet sich der Punkt in der Mitte des Bildschirmes. Bei einem Gleichgewichtsverlust erhalten die Sportler in Echtzeit eine visuelle Rückmeldung, indem sich der Punkt auf dem Bildschirm nach vorn, hinten, links oder rechts verlagert. Im Koordinationstest 2, dem Balance Propriozeptionstest, stehen die Sportler auch auf dem Wackelbrett und müssen versuchen, ihr Gleichgewicht zu halten. Im Unterschied zum Koordinationstest 1 bekommen sie keine visuelle Rückmeldung über ihren Gleichgewichtszustand. Sie müssen aufgrund ihrer Körperwahrnehmung (Propriozeption) das Gleichgewicht halten und versuchen, so stabil und sicher wie möglich auf dem Brett zu stehen. An der Station 6a erfolgt bei den Kadersportlern die Beweglichkeitsmessung. Unter Anleitung einer Physiotherapeutin wird die aktive und passive Gelenkbeweglichkeit mithilfe eines Winkelmessers (Goniometer) bestimmt. Die Objektivierung der Gelenkigkeit kann nach Neumaier (1983) durch die Messung des Bewegungswinkels oder des Abstands zwischen einem Körper- und einem Bezugspunkt in Zentimetern erfolgen. Im Vordergrund der Untersuchung steht die Überprüfung der Beweglichkeit der Wirbelsäule, der Schulter-, Hüft- und Sprunggelenke. Außerdem sollen mögliche muskuläre Dysbalancen rechtzeitig erkannt werden. An den Stationen 6b und 6c erfolgt die Bestimmung der anthropometrischen Daten. Hierbei werden von den Kadersportlern die Körperhöhe stehend und sitzend (in cm), die Körpermasse (in kg), der Körperfettanteil (in %), der Wasseranteil (in %), die Muskelmasse (in kg) sowie der BMI erfasst. Von großer Bedeutung für die Sportler und Trainer ist aus pädagogischer und trainingsmethodischer sowie aus eignungsdiagnostischer Sicht, die Kenntnis über den aktuellen biologischen Reifegrad sowie über die zu erwartende Körperhöhe. Der biologische Reifegrad muss vor allem zur Beurteilung und Einordnung der aktuellen sportlichen Leistungsfähigkeit mit einbezogen werden, um eine Über- bzw. Unterforderung zu vermeiden. Mithilfe des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft wurde eine Software entwickelt, mit der sowohl der biologische Reifegrad bestimmt als auch die finale Körperhöhe prognostiziert werden können (Bio-Final). Um das biologische Alter sowie die finale Körperhöhe zu berechnen, benötigt man das Geburtsdatum, das Datum der Messung, die Körpermasse sowie die Körperhöhe sitzend und stehend. Mithilfe der Software können für Jungen im Alter von 8 bis 18 Jahren und für Mädchen im Alter von 6 bis 16 Jahren das biologische Alter und die finale Körperhöhe berechnet werden (Berechnungsfehler Mädchen ± 6,8 cm; Jungen ± 5,4 cm). Bei Sportlern, die außerhalb dieses Altersbereichs liegen, werden keine verwendbaren Ergebnisse erzielt (Vater et al., 2018). Im Anschluss an die komplexe Leistungsdiagnostik werten die verantwortlichen Bundestrainer sowie die Physiotherapeutin die erbrachten Leistungen aus. Das Ergebnisprotokoll mit den dazugehörigen Bewertungen wird anschließend dem Sportler zugesandt. Eine beispielhafte Gesamtübersicht der sportmotorischen Tests ist in Abbildung rechts oben dargestellt. Dabei stellt die Null-Linie den Gruppendurchschnitt dar. Werte, welche sich unterhalb der Null-Linie befinden, liegen unter dem Durchschnitt der Gruppe. Werte oberhalb der Null-Linie verdeutlichen über dem Durchschnitt liegende Ergebnisse.
Neben den genannten sportmotorischen Tests erfolgt am Tag 5 der komplexen Leistungsdiagnostik die biomechanische Technikanalyse im Reißen, Umsetzen und Ausstoßen. Im folgenden Abschnitt wird auf die biomechanische Technikanalyse näher eingegangen.
Biomechanische Technikanalyse
Den zweiten Teil der komplexen Leistungsdiagnostik bildet die biomechanische Technikanalyse im Reißen, Umsetzen und Ausstoßen. Die Analyse der sportlichen Technik der Kadersportler findet im Bundesleistungszentrum in Leimen statt. Ziel ist es, die aktuelle Technik des Sportlers zu analysieren, individuelle Schwachstellen zu lokalisieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Mithilfe des Realanalyzers erfolgt die Bewegungsanalyse im Gewichtheben. Sowohl im Training als auch bei Wettkämpfen ist eine computergestützte Technikanalyse sinnvoll. Ein Vorteil des Realanalyzer ist es, dass nach einer Hebung alle wichtigen Parameter (Kraft-, Weg-, Geschwindigkeits- und Leistungsparameter) als Sofortinformation zur Verfügung stehen. Zusätzlich kann die Ortskurve der Hantel zur Trainingsanalyse und -steuerung eingesetzt werden. Das Mess- und Informationssystem (MIS) dient als Messplatz (komplexes Trainings- und Diagnosegerät), Bildverarbeitungssystem (Erfassung visueller Informationen) sowie als Informationssystem (Datenbank Gewichtheben IAT). Zunehmend wird das MIS im Gewichtheben dezentral eingesetzt und dient als mobiler Messplatz (Sandau, 2016).
Mithilfe der Videometrie (Realanalyzer) erfolgt die biomechanische Technikanalyse der Kadersportler während der komplexen Leistungsdiagnostik. Durch kinematische Messungen können Geschwindigkeiten, Strecken und Beschleunigungen ermittelt werden (Zeit muss bekannt sein). Mithilfe einer Kamera und einer Software (Realanalyzer) erfolgt im Gewichtheben die Analyse der sportlichen Technik und es werden 2D kinematografische Daten generiert. Die Kinematografie wurde bereits zu Beginn der 70er Jahre zur Analyse der Hantelbewegung entwickelt (Richter, 1973). Damals erfolgte die analoge Videoaufzeichnung mit einer 16 mm Spezialkamera (50 Hz) und einer anschließenden manuellen Bildbearbeitung. Die Beurteilung der technischen Ausführung des Athleten erfolgt durch die Analyse der Hantelbewegung. Dies resultiert aus dem Zusammenhang zwischen dem Hantelverlauf und der Technik. Das generelle Verfahren der Datengewinnung über die Kinematografie unterscheidet sich beim aktuellen MIS-Gewichtheben nicht von damals. Seit 2010 wird in Deutschland die Technikanalyse mithilfe des Realanalyzer als Weiterentwicklung des Weightlifting Analyzer durchgeführt (Jentsch, 2008). Die Grundidee der Kinematografie liegt auf der Berechnung realer Wegveränderungen eines Sportgerätes oder Körpers über die Umrechnung der Wegveränderung im Videobild. Dazu muss das Videobild in Relation zur Umgebung kalibriert werden (Wegkalibrierfaktor > Ks = Objektgröße). Die Hantelscheibe mit einem Durchmesser von 45 cm dient als Kalibrierkörper. Durch die Kalibrierung wird der Maßstab eines Bildpixels errechnet (z. B. 1 Bildpixel = 1 cm). Je größer der Kalibrierkörper im Videobild, desto geringer ist der Wert des Pixels. Über die Frequenz der Kamera (50 Hz) kann zur räumlichen Veränderung der zeitliche Bezug berechnet werden. Die Hantelgeschwindigkeit kann aus dem Wegverlauf über die Zeit berechnet werden. Aus der Geschwindigkeitsveränderung über die Zeit kann man die Hantelbeschleunigung ableiten. Die Vorteile der Kinematografie sind ein schneller Auf- und Abbau der Geräte, eine datensynchrone Videodarstellung (Daten werden über das Videobild gewonnen) und ein berührungsloses Messverfahren. Durch die genannten Vorteile kann das MIS sowohl bei Trainingslehrgängen als auch im Wettkampf eingesetzt werden. Durch die indirekte Messung können bei der Geschwindigkeitsmessung eine 3-prozentige und bei der Beschleunigungsmessung eine 10-prozentige Fehlerwahrscheinlichkeit auftreten. Durch die derzeitige Aufzeichnungsfrequenz von 50 Hz könnte es zu einem Informationsverlust kommen. Besonders wichtig für die Genauigkeit der Werte ist die richtige Kalibrierung sowie die Belichtung. Das aktuelle MIS im Gewichtheben ist ein 2D Messverfahren. Für den Aufbau des Systems sind eine Kamera und ein Computer mit der aktuellen Software (Realanalyzer) nötig. Für die optimale Videoanalyse muss der Kamerawinkel zur Bohle ca. 30 bis 40 Grad betragen und die Kamera ca. ein Meter über der Wettkampfbohle stehen. Die Entfernung der Kamera beträgt mindestens fünf Meter (Sandau, 2016).
Einen wichtigen Bestandteil der komplexen Leistungsdiagnostik bildet die biomechanische Technikanalyse. Nach einer individuellen Erwärmung erfolgt die Analyse der Bewegungstechnik im Reißen und Stoßen mithilfe der Videometrie. Wie auch im Wettkampf hat jeder Sportler drei Versuche pro Disziplin. Alle sechs Hebungen des Athleten werden aufgezeichnet und im Anschluss daran analysiert. Zwischen den einzelnen Hebungen hat der Sportler Zeit, sich zu erholen. Um den Bewegungsablauf auch bei erschwerten Bedingungen zu analysieren, wird die Hantellast von Versuch eins über zwei zu drei gesteigert. Mithilfe des Realanalyzers können die Orts-, Geschwindigkeits-, Kraft- und Leistungskurve der Hantel grafisch dargestellt werden. Im nächsten Kapitel sind die biomechanischen Sollverläufe der Orts-, Geschwindigkeits-, Kraft- und Leistungskurven im Reißen, Umsetzen und Ausstoßen hinterlegt.
Mithilfe der Software werden neben den Orts-, Geschwindigkeits-, Kraft- und Leistungskurven der Hantel alle biomechanisch wichtigen Parameter einer Hebung automatisch errechnet. In der folgenden Abbildung sind die wichtigsten Weg-, Geschwindigkeits- und Kraftparameter zusammengefasst.