Grundlagentraining - Mentales Training

Für die Etappe des Grundlagentrainings ist im Bereich Persönlichkeit die Einführung „Mentalen Trainings“ vorgesehen. Bis dato herrscht in Bezug auf die Begrifflichkeit des „Mentalen Trainings“ noch keine Einigkeit (Schuster et al., 2011). Teilweise umfasst es die Gesamtheit der psychologischen Methoden, die im Leistungssport angewendet werden, wie beispielsweise die Selbstgesprächsregulation oder Coping-Strategien. Im Sport liegt der Schwerpunkt des „Mentalen Trainings“ auf der Vorstellung von Bewegungsabläufen. In der Sportwissenschaft kann man das „Mentale Training“ nach Eberspächer (2007) wie folgt definieren: „Mentales Training ist das planmäßig wiederholte, bewusste Sich-Vorstellen einer sportlichen Handlung ohne deren gleichzeitige praktische Ausführung“ (S. 70). Aufgrund dieser Definition kann man das „Mentale Training“ als Vorstellungstraining bezeichnen. Als Visualisierung wird demnach die imaginäre Vorstellung einer Handlung bezeichnet, ohne dass diese Bewegung motorisch realisiert wird. Diese sollte möglichst realitätsnah und lebhaft sein (Jose et al., 2018; Behnke et al., 2019), ohne jedoch muskuläre Aktivität zu beinhalten (Moran et al., 2012). Prinzipiell lassen sich nach Baumann (2006) fünf Formen des Vorstellungstrainings unterscheiden: Observatives Training, Verbales Training, Subvokales Training, Verdecktes Wahrnehmungstraining, Ideomotorisches Training. Die Intensität sowie der Schwierigkeitsgrad nehmen vom „Observativen Training“ bis zum „Ideomotorischen Training“ zu. Beim „Observativen Training“ beobachtet der Sportler die Handlungsausführung bei einer anderen Person. Während des „Verbalen Trainings“ spricht man mit anderen Personen über die Bewegung bzw. über den Bewegungsablauf. Beim „Subvokalen Training“ spricht sich der Sportler den Bewegungsablauf, welcher erlernt werden soll, per Selbstgespräch vor. Sind diese Formen des Vorstellungstrainings erlernt, kann mit dem „Verdeckten Wahrnehmungstraining“ begonnen werden. Dabei sieht sich der Sportler „vor seinem geistigen Auge“ eine Bewegung ausführen. Der Sportler befindet sich beim „Verdeckten Wahrnehmungstraining“ in einer Beobachterrolle. Beim „Ideomotorischen Training“ vergegenwärtigt sich der Sportler die Innenperspektive der Bewegung. Man versetzt sich in die Bewegung und versucht diese nachzuempfinden. Hierbei geht es darum, wie sich die Bewegung anfühlt. Athleten, die noch wenig Erfahrung mit dem Vorstellungstraining haben, sollten mit dem „Subvokalen Training“ beginnen (Baumann, 2006). Nach Eberspächter (2007) ist das Ziel des Vorstellungstrainings, „sich in einen psychischen Zustand zu versetzten, der es ermöglicht, die eigenen realistischen Leistungen, unter allen denkbaren Bedingungen“ zu erbringen. Das Vorstellungstraining kann eingesetzt werden, um Bewegungen zu erlernen bzw. zu verbessern, die Motivation zu steigern, das Selbstvertrauen zu stärken sowie neue Taktiken zu erlernen (Baumann, 2006; Eberspächer, 2007). Darüber hinaus kann das Vorstellungstraining die Konzentration sowie die Selbstwirksamkeit des Sportlers fördern (Jose et al., 2018; Behnke et al., 2019). Nachweislich werden bei dieser Form des Trainings dieselben Bereiche des motorischen Kortex angesteuert wie bei der motorischen Bewegungsrealisation. Diese Techniken eignen sich demnach hervorragend dafür, die sportlichen Techniken zu verfeinern oder während längerer Pausen weiterhin „mental“ im Training zu bleiben. Wichtig jedoch ist, dass die Bewegungsvorstellung technisch korrekt ist. Andernfalls droht das Einschleifen falscher Bewegungsvorstellungen, die infolgedessen auch motorisch falsch realisiert werden könnten. Voraussetzungen für das Vorstellungstraining sind der Entspannungszustand des Sportlers, die Eigenerfahrungen (Vorerfahrungen) sowie das lebhafte Vergegenwärtigen der Bewegung und die zeitliche Kongruenz von gedachter und tatsächlicher Ausführung. Weiterhin ist ein hohes Maß an Konzentrationsfähigkeit wichtig bei der Durchführung des Vorstellungstrainings. Die Konzentrationsfähigkeit sollte bereits in der vorherigen Entwicklungsetappe geschult worden sein, sodass der Sportler in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit bewusst und zielgerichtet zu steuern. Die besten Wirkungen erzielt das Vorstellungstraining, wenn es im Wechsel mit dem motorischen Training eingesetzt wird. Werden die Voraussetzungen nicht erfüllt, können eine Reihe von Störungen beim Vorstellungstraining auftreten. Beispiele hierfür wären, dass der Sportler in der Bewegung hängenbleibt und der Bewegungsablauf nicht weitergeht. Weiterhin können Bewegungsphasen übersprungen werden oder es werden ständig dieselben Bewegungssequenzen wiederholt. Der Sportler muss sich konzentrieren, um keine technischen Fehler oder Gegenvorstellungen in den Bewegungsablauf einzubauen. Wenn der Sportler während des Übens an etwas anderes denkt, verliert er die Vorstellung und es kommt zu weiteren Störungen. Ursachen hierfür sind die fehlende Motivation oder ein übertriebener Ehrgeiz, Übungen erzwingen zu wollen. Sollte es zu Störungen kommen, sollte der Sportler zum „Subvokalem Training“ zurückkehren. Durch das Vorsagen des Bewegungsablaufes per Selbstgespräch können Fehler im Bewegungsablauf erkannt und korrigiert werden. Weiterhin bietet sich bei Störungen im Vorstellungstraining an, mit dem Training zu pausieren und später erneut anzusetzen (Eberspächer, 2007). Das Vorstellungstraining sollte in verschiedenen Situationen erfolgen, wie beispielweise im Training, vor dem Wettkampf, in der Umkleidekabine sowie im Bus. Zu Beginn sollte das Visualisieren in einer ruhigen Umgebung stattfinden. Der Sportler muss vor Trainingsbeginn eine realistische Zielstellung setzen sowie die Motivation zum Training haben. Beim Vorstellungstraining kann die Videokamera oder ein Stimmaufzeichnungsgerät eingesetzt werden, um gelungene Bewegungsabläufe des Athleten aufzuzeichnen. Das Vorstellungstraining bzw. die Visualisierung dient zusammen mit der Selbstgesprächsregulation zu den wichtigsten psychischen Fertigkeiten im leistungssportlichen Kontext (Jose et al., 2018; Behnke et al., 2019). Dem „Mentalen Training“ wird somit eine entscheidende Rolle in der Entwicklung erfolgreicher Athleten zugesprochen (Schuster et al., 2011; Ridderinkhof & Brass, 2015; Behnke et al., 2019). Die bereits erwähnten Möglichkeiten für den leistungssportlichen Alltag liegen somit auf der Hand. Sportler vermögen durch „Mentales Training“ die Bewegungsqualität ihrer sportlichen Technik ohne körperlichen Einsatz und damit auch unter Ausbleiben der zusätzlichen Beanspruchung des Bewegungsapparats zu erhöhen. Mit dem Ausreizen der Belastbarkeitsgrenzen von Sportlern im Hochleistungsbereich aufgrund hoher Trainingsumfänge bietet sich somit die Möglichkeit, motorische Fertigkeiten zu trainieren, ohne zusätzliche Überlastungsschäden zu riskieren. Bei all den Möglichkeiten, die „Mentales Training“ bietet, sei jedoch angemerkt, dass hinsichtlich der Wirksamkeit mentalen Trainings zwar ausreichende Evidenz vorliegt, jedoch bei weitem nicht alle Faktoren hinreichend erforscht sind (Solodkin et al., 2004; Fourkas, Ionta, & Aglioti, 2006; Schuster et al., 2011; Behnke et al., 2019). Um eine praxistaugliche mentale Trainingsroutine entwickeln zu können, bedarf es zunächst grundlegend einer recht gut ausgebildeten Konzentrationsfähigkeit des Sportlers (Beckmann, 2011). Nach Eberspächer (2007) werden für das Vorstellungstraining fünf Schritte benötigt:

1. Instruktion
2. Beschreibung durch den Athleten
3. Internalisieren
4. Knotenpunkte bestimmen
5. Individuelle symbolische Markierung der Knotenpunkte

Damit der Sportler mental trainieren kann, benötigt er zu Beginn eine Handlungsanweisung (Instruktion) durch den Trainer oder aus einem Lehrbuch. Um diese im Tainingsprozess verändern zu können, bietet es sich an, die Instruktion schriftlich festzuhalten. Oftmals erfolgen solche Handlungsanweisungen sprachlich und durch Bilder unterlegt. Im zweiten Schritt sollte der zu trainierende Bewegungsablauf vom Sportler beschrieben werden. Dabei sollen möglichst viele Sinnesmodalitäten einbezogen werden. Je präzisier diese Beschreibung ist, desto genauer kann der Trainer die Bewegungsvorstellung des Athleten kontrollieren. Somit können frühzeitig Störquellen und Fehler erkannt, korrigiert und durch wichtige Punkte ergänzt werden. Die Beschreibung durch den Athleten kann entweder schriftlich oder mündlich erfolgen. Besonders dieser Schritt ist äußerst wichtig, um die zumeist unterbewusst vorliegende Bewegungsvorstellung in das Bewusstsein zu rufen (Mayer & Hermann, 2015). Darüber hinaus kann so gewährleistet werden, dass der Sportler über die technisch korrekte Bewegungsvorstellung verfügt und sich keine Fehler in das Visualisieren einschleichen (Beckmann, 2011; Engbert et al., 2011). Im dritten Schritt erfolgt die Internalisierung. Dabei lernt der Sportler den „richtigen Bewegungsablauf“ auswendig und spricht sich diesen per Selbstgespräch vor. Dabei stellt man sich die einzelnen Bewegungsphasen und Merkmale vor und spricht diese Phasen mit sich selbst durch. Dieser Schritt erfordert vom Sportler regelmäßiges Üben. Nachdem der Sportler das „Subvokale Training“ sicher beherrscht, folgt die nächste Stufe. Die Stufe vier umfasst die Beschreibung der Knotenpunkte. Dies sind nach Eberspächer (2007) die Bewegungsphasen, die in der Vorstellung unbedingt visualisiert werden müssen, bzw. vor allem dem Sportler wichtig sind für die richtige Bewegungsvorstellung. Im Gewichtheben sind für die Erlernung des Reißens folgende Knotenpunkte wichtig:

1. Knotenpunkt: Startstellung
2. Knotenpunkt: Erste Zugphase
3. Knotenpunkt: Kniepassage
4. Knotenpunkt: Zweite Zugphase
5. Knotenpunkt: Umgruppieren mit aktivem Körpersenken
6. Knotenpunkt: Abbremsen, Fixieren & Aufstehen

Nachdem die Knotenpunkte sorgfältig erarbeitet worden sind, erfolgt Schritt fünf, die symbolische Markierung der Knotenpunkte. Anschließend werden die Knotenpunkte/Handlungsschritte in kurze Formeln umgewandelt und in einen der Gesamtbewegung ähnelnden Rhythmus gebracht (Mayer & Hermann, 2015). Durch diese Kurzformeln können die konkreten Bewegungsphasen schnell abgerufen werden. Im Gewichtheben werden die Knotenpunkte eins bis sechs mit den Positionen R1 bis R6 symbolisch markiert. Anhand dieser Kurzformeln (R1 bis R6) kann der Athlet jederzeit den Bewegungsablauf im Reißen abrufen. Um Fehlerkorrekturen vorzunehmen und neue Anweisungen des Trainers aufzunehmen, kann der Sportler zu den vorherigen Stufen zurückkehren (Eberspächer, 2007). Sind die Knotenpunkte der Handlung symbolisch markiert, müssen diese in der Praxis erprobt und hinsichtlich ihrer Deckungsgleichheit mit der tatsächlichen Bewegung verglichen bzw. optimiert werden (Beckmann, 2011; Eberspächer, 2012; Mayer & Hermann, 2015). Zu Beginn des Trainings sollte das Vorstellungstraining an einem ruhigen Ort erfolgen. Mit zunehmender Sicherheit kann das „Mentale Training“ auch an anderen Orten erfolgen, solange der Sportler in der Lage ist, ein hohes Konzentrationsniveau herzustellen und ungestört aufrechtzuerhalten. Das Vorstellungstraining bzw. das Visualisieren einer sportlichen Handlung kann vor und nach dem Training bzw. dem Wettkampf, in Alltagssituationen, während der Rehaphase sowie der Saisonpause angewendet werden. Visualisierung wirkt umso effektiver, je stärker sie in den täglichen Ablauf integriert ist. Durch das Anwenden vom „Mentalen Training“ in Verletzungsphasen konnten Untersuchungen belegen, dass die Kraftverluste deutlich geringer ausfielen als im Vergleich zu einer passiv verbrachten Trainingspause. Um diesen Effekt nutzen zu können, ist es von entscheidendem Vorteil, wenn das Vorstellungstraining frühzeitig erlernt und eingeübt wird. Durch die Kombination vom mentalen und motorischen Training wird die Lernphase erleichtert. Wird das „Mentale Training“ erst nach der Verletzung eingeführt, fehlt diese Ergänzung aus der Praxis und erschwert den Lernprozess. Die Wirkungsmechanismen von Visualisierung beruhen auf dem psychologischen Erklärungsansatz sowie der psychoneuromuskulären Theorie und der symbolischen Lerntheorie. Anhand des psychologischen Erklärungsansatzes führt Visualisierung zur Kontrollüberzeugung, welche wiederum positiv auf die Konzentration, Selbstvertrauen und Motivation wirkt. Die symbolische Lerntheorie geht davon aus, dass die wiederholte kognitive Beschäftigung mit Bewegungsabläufen zu einer besseren Aneignung der Bewegung führt. Die psychoneuromuskuläre Theorie besagt, dass beim Bewegungslernen durch Vorstellungstraining die gleichen neuromuskulären Impulse, zur Innervierung der Muskeln, wie bei der tatsächlichen Bewegungsausführung entstehen (Eberspächer, 2007; Weinberg & Gould, 2014).

Sportliche Höchstleistung bedarf einer umfassenden Förderung des Athleten über den physischen Bereich hinaus. Das „Mentale Training“ ist ein wichtiger Bestandteil im langfristigen Leistungsaufbau und kennzeichnet erfolgreiche Athleten (Ridderinkhof & Brass, 2015; Behnke et al., 2019). Somit sollten dem Sportler früh entsprechende Fertigkeiten vermittelt werden und über den langfristigen Leistungsaufbau ausprobiert, optimiert und stabilisiert werden, sodass er in Zeiten zunehmenden Leistungsdrucks mit Selbstvertrauen auf sie zurückgreifen kann.

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