Aufbautraining - Copingstrategien

Wettkämpfe mit dem Ziel, das persönliche Leistungspotential optimal in Form einer sportartspezifischen Leistung zu entfalten, stellen Sportler vor individuelle Herausforderungen. Dieser kann dann seine optimale Leistung entfalten, wenn er sich auf die aufgabenrelevanten Informationen konzentriert und dabei alle für diese Handlung irrelevanten Informationen ausblendet (Nideffer & Sagal, 1993). Nicht selten kommt es jedoch vor, dass Sportler, obwohl sie rein physisch in der Lage dazu wären, unter ihren Möglichkeiten bleiben (Lewis & Linder, 1997). In diesem Zusammenhang spricht man von „Choking“, einer verminderten Leistungsfähigkeit infolge erhöhter Druckbedingungen (Baumeister & Showers, 1986) . Zwischen der Aktivierung (Erregung) und der sportlichen Leistung des Athleten besteht ein Zusammenhang. Die bestmögliche Leistung setzt ein gewisses Maß an Erregung bzw. Anspannung voraus. Yerkes und Dodson (1908) postulieren einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen der Leistung und der Aktivierung. Nur bei einem mittleren Aktivierungsgrad wird die individuelle optimale Leistung erreicht. Ist ein Sportler zu wenig bzw. zu viel aktiviert, entstehen suboptimale Leistungen (Brand, 2010). Seit einigen Jahren wird die Theorie des umgekehrt U-förmigen Zusammenhangs stark kritisiert. Das „Individual Zone of Optimal Functioning-Modell“, welches von Hanin (2010) entwickelt wurde, besagt, dass die gleichen Emotionen bei verschiedenen Sportlern zu einer unterschiedlichen Leistungsfähigkeit führen. Befindet sich der Sportler nicht in dem optimalen Aktivierungsbereich, kommt es zu negativen Belastungswirkungen, wie beispielsweise Angst oder Stress (Alfermann & Stoll, 2012). Der allgemeine Zusammenhang zwischen Leistung und Aktivierung wird in der Abbildung in der Yerkes-Dodson-Kurve dargestellt.

Aufgrund von Sportbelastungen über einen langen Zeitraum können negative körperliche und psychische Folgen auftreten (Kaluza, 2012). Sind die Belastungen höher als die verfügbaren Ressourcen der Person, kommt es zur Stressreaktion des Körpers (Semmer & Zapf, 2018). Hans Selye definierte den Stressbegriff als die allgemeine Reaktion des Körpers auf Anforderungen. Grundsätzlich kann man den Stress in den Eustress und Distress unterteilen. Der Eustress wirkt motivierend und bildet eine positive Art der Aufregung. Bei ansteigender Belastung und nicht zu bewältigender Aufgabenstellung entsteht Distress. Es entsteht ein unangenehmes Empfinden aufgrund der Überforderung der eigenen Ressourcen (Semmer & Zapf, 2018). In der Literatur finden sich unterschiedliche Stresskonzepte. Sowohl die Stimulusmodelle (Stress = einwirkender Reiz von außen auf den Organismus) als auch die Reaktionsmodelle (Stress = Reaktion des Menschen auf Anforderung) berücksichtigen jedoch nicht, warum Menschen unterschiedlich auf Stress reagieren (Fuchs & Klaperski, 2018). Die Interaktionsmodelle stehen dazu im Gegensatz. Das transaktionale Stressmodell von Lazarus (1966) gehört auch zu diesen Modellen. Lazarus beschreibt Stress als eine „Transaktion“ zwischen der Umgebung und der Person. Im transaktionalen Stressmodell erfolgt zu Beginn die primäre Bewertung der Situation. Die Person betrachtet das Ergebnis in Bezug auf ihr Wohlbefinden. Das Ergebnis kann dabei irrelevant, günstig oder stressend eingestuft werden. Bewertet die Person die Situation als irrelevant, entstehen keine weiteren Auswirkungen. Wird die Situation als günstig und positiv eingeschätzt, ist keine Bewältigung notwendig. Wird das Wohlbefinden des Sportlers durch eine Situation bedroht, wird die „Situation als stressend“ bewertet. Hierbei lassen sich drei unterschiedliche Kategorien unterteilen: Schädigung, Bedrohung, Herausforderung. Bei der sekundären Bewertung prüft die Person, ob die ihre eigenen Ressourcen ausreichen, um die Situation zu bewältigen (Krohne, 1997). Nach Schnaper (2014) unterscheiden sich diese Ressourcen zwischen den Personen, welche von den Kompetenzen und den Erfahrungen abhängig sind. Eine der wichtigsten Ressourcen dabei ist die Selbstwirksamkeit. Die Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung der Person, die Herausforderung bewältigen zu können. Personen, welche eine niedrige Selbstwirksamkeit haben, sind anfälliger für stressige Situationen (Schwarzer, 2004). Die primäre und sekundäre Bewertung beeinflusst sich gegenseitig und kann zeitlich parallel ablaufen (Lazarus & Launier, 1981). Nach der Bewertung der Bewältigungsfähigkeiten und -möglichkeiten schätzt die Person die Situation bei der Neubewertung ein. Bei der Neubewertung der Situation wird überprüft, ob die Ressourcen der Person ausreichen oder ob die Situation weiterhin bedrohlich bleibt. Oftmals wiederholen sich diese Prozesse bei der Bewertung einer Situation (Schaper, 2014). In der Abbildung ist das transaktionale Stressmodell dargestellt.

Nach Lazarus spielen im transaktionalen Stressmodell die Bewältigungsprozesse (Copingstrategien) eine wichtige Rolle (Lazarus, 1966). Coping bezeichnet nach Gerring und Zimbardo (2008, S. 730) den „Prozess, mit inneren und äußeren Anforderungen umzugehen, die als bedrohlich oder die eigenen Kräfte übersteigend wahrgenommen werden“. Lazarus und Folkman (1984) unterscheiden problem- und emotionsorientierte Copingstrategien. Ziel der problemorientierten Bewältigungsstrategie ist die Reduzierung sowie die Lösung des Problems. Die Person versucht direkt den Stressor zu verändern. Strategien hierfür sind u. a. Planen, Trainieren, Zeitmanagement, Selbstgespräch, Zielsetzung und Konzentration. Bei der Bewältigung von kontrollierbaren Situationen führen problemorientierte Copingstrategien zum Erfolg (Gerring & Zimbardo, 2008). Eine emotionsorientierte Bewältigungsstrategie bietet sich an, wenn die Person den Stressor nicht verändern kann. Dabei reguliert die Person ihre Emotionen, passt sich an die Situation an, ohne diese jedoch zu verändern. Hierzu zählen Ablenkungs- und Entspannungsmethoden (Gerring & Zimbardo, 2008). Beide Bewältigungsformen sind hilfreich und deren Anwendung ist abhängig von der jeweiligen Situation. Für Sportler ist es nützlich, eine Reihe von Bewältigungsstrategien zu besitzen, welche sie in unterschiedlichen Situationen anwenden können. Mittel- und langfristig gesehen sind problemorientierte Strategien wichtiger zur Lösung von Situationen (Gerring & Zimbardo, 2008).

Jeder Sportler im Leistungssport sollte Techniken zur Stressbewältigung beherrschen. Gemeinsam mit dem Sportpsychologen werden Techniken zur aktiven, bewussten Entspannung, wie beispielweise der progressiven Muskelrelaxation oder des autogenen Trainings, erarbeitet. Zur Erlernung dieser Techniken ist ein intensives Programm, ein sensibles Körpergefühl sowie ausreichend Zeit nötig. Die beschriebenen Techniken wirken sich auf die Senkung des Erregungsniveaus des Sportlers aus und behandeln die Symptome der Belastungswirkungen. Die Techniken des autogenen Trainings und der Muskelrelaxation sind ausschließlich vor bzw. nach dem Wettkampf durchführbar. Eine Alternative zu diesen Techniken bilden naive Bewältigungsstrategien. Dabei handelt es sich um Techniken, die wir Menschen im Laufe des Lebens erlernt und durch spezifische Erfahrungen angeeignet haben. Durch den täglichen Gebrauch sind uns diese Techniken kaum bewusst, da sie automatisiert angewendet werden. Es lassen sich personenorientierte und umweltorientierte Bewältigungsstrategien unterscheiden. Bei der umweltorientierten Stressbewältigung schafft der Sportler sich eine „beruhigende Atmosphäre“, um sich von der Umwelt abgrenzen. Vor dem eigentlichen Wettkampf erreichen die Sportler diese Atmosphäre durch das Abspielen von Musik mit dem Handy bzw. dem iPod. Dabei werden oftmals die Augen geschlossen, um sich von dem aktuellen Ort abzugrenzen. Diese Art der Stressbewältigung wirkt befreiend und motivierend zu gleich. Bei den personenorientierten Techniken versucht der Sportler, seine Belastungen selbst aktiv abzubauen. Dabei redet er sich selbst beruhigend zu. Die personenorientierten Bewältigungsstrategien lassen sich weiterhin in zwei Techniken unterscheiden: motorische und kognitive Techniken. Die motorischen Techniken haben das Ziel, die Spannungen durch Bewegungsaktivitäten zu mindern und kommen zum Beispiel in kurzen Pausen bei Rückschlagspielen zur Anwendung. Auch im Basketball erfolgt durch das Ausatmen vor einem Freiwurf diese Technik. Zu den motorischen Bewältigungsstrategien zählen „motorische Abreaktionen“, wie beispielsweise das Wegwerfen des Tennisschlägers bzw. die berühmte „Becker-Faust“. Die meisten naiven personenorientierten und motorischen Techniken werden vom Schiedsrichter bestraft und haben in Teamsportarten nur eine untergeordnete Rolle. Im Sport haben jedoch personenorientierte, kognitive Strategien eine große Bedeutung. Hierzu zählen Motivations-, Beruhigungs- und Ablenkungsstrategien. Aussagen wie „Au, Mann siehst du heute aber schlecht aus!“ oder „Jetzt erst mal ganz ruhig aufbauen“ zählen zu den kognitiven Strategien. Auch Selbstdarstellungstechniken (z. B. Kleidung, Tattos) gehören zu den Bewältigungsstrategien, um den Konkurrenten zu beeindrucken (Alfermann & Stoll, 2012).

In Hinblick auf die Vermeidung von Ablenkung haben sich vor allem die Wettkampfroutinen als hilfreiche Copingstrategie erwiesen (Mesagno et al., 2008; Mesagno & Mullane-Grant, 2010). Diese finden bereits weitreichende Anwendung im Leistungssport (Cotterill 2010; Mellalieu 2014). Eine Wettkampfroutine setzt sich aus einer bestimmten Folge von Handlungen und Gedanken zusammen, die den Sportler dabei unterstützen soll, dass sich die Aufmerksamkeit nicht störenden Einflüssen wie beispielsweise der emotionalen Erregung und Ängsten zuwendet, sondern auf die bevorstehende Aufgabe und ihre wichtigen Aspekte gerichtet bleibt (Cotterill, 2010). Eine weitere Methode ist die sogenannte Linke-Hand-Kontraktion (Gröpel & Mesagno, 2017). Diese begründet sich auf der Annahme, dass durch Kontraktionen der linken Hand jene Areale der rechten Hirnhälfte aktiviert würden, die für die Bewegungsausführung notwendig seien. Gleichzeitig würden die analytischen Prozesse der linken Gehirnhälfte unterdrückt, die eine bewusste Bewegungskontrolle veranlassten (Beckmann et al., 2013). So zeigte sich, dass Sportler, die einen Ball in ihrer linken Hand für etwa 30 Sekunden unmittelbar vor der Bewegungsausführung drückten, deutlich bessere Leistungen unter Druckbedingungen erbrachten als jene, die diesen Ball in ihrer rechten Hand drückten (Beckmann et al., 2013; Gröpel & Mesagno, 2017).

Zusammengefasst betrachtet, stellt das Phänomen des Chokings, also einer Verschlechterung der sportlichen Leistung unter Druckbedingungen aufgrund emotionaler Erregung, einen ernstzunehmenden, leistungsmindernden Faktor im Sport dar. Gleichzeitig wird ersichtlich, welchen Stellenwert der Entwicklung erfolgreicher Copingstrategien beigemessen werden muss. Die hier dargestellten Bewältigungsstrategien eigenen sich hervorragend als Einstieg, um dem „Choking under pressure“ entgegenzuwirken und dem Sportler zu vermitteln, dass dieser keinesfalls hilflos den natürlichen Ängsten und Sorgen von Drucksituationen ausgeliefert ist, sondern diese bewusst beeinflussen kann (Lidor & Mayan, 2005). Somit ist die Entwicklung von Copingstrategien ein essentieller Bestandteil in der langfristigen Entwicklung von Spitzenathleten und fördert die psychosozialen Ressourcen der Selbstwirksamkeit und des sportlichen Selbstbewusstseins.

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